Kritik der Entfremdung

Drei Besprechun­gen

Buchbe­sprechung zu Daniel Loick: Juridis­mus. Kon­turen ein­er kri­tis­chen The­o­rie des Rechts.

2017 | 342 Seit­en | 18 € | Suhrkamp Ver­lag | ISBN: 978–3‑518–29812‑1

In aktuelleren gesellschaft­s­the­o­retis­chen Ansätzen hat sich eine bes­timmte Form von Kri­tik her­aus­ge­bildet, die sich stark auf die von Karl Marx her stam­mende Analyse von Ent­frem­dungsef­fek­ten bezieht.

Nach Marx ruft beson­ders die indus­trielle, kap­i­tal­is­tis­che Art zu arbeit­en prob­lema­tis­che Effek­te her­vor. Dadurch, dass das Pro­dukt der Arbeit am Ende des Tages nicht den Arbei­t­en­den, son­dern den Kap­i­tal­is­ten gehört, entste­ht zunächst eine emo­tionale Dis­tanz zwis­chen Pro­dukt und Arbeit­er. Da die Arbeit­er dabei aber noch auf einem Arbeits­markt in Konkur­renz zueinan­der ste­hen, entste­ht auch zwis­chen ihnen untere­inan­der eine feindliche Stim­mung. Da sie in der Fab­rik außer­dem ein­er starken Diszi­plin aus­ge­set­zt sind, nehmen sie ihr Arbeit­sum­feld zunehmend als feindliche Bedro­hung wahr, und selb­st die Maschi­nen erscheinen Ihnen eher als Konkur­renz denn als nüt­zliche Werkzeuge.

Weil es außer­dem einen beständi­gen Inter­es­sen­ge­gen­satz zwis­chen den Inhab­ern der Fab­rik und den Arbeiter*innen gibt, steigt die Frus­tra­tion bei den Beschäftigten noch zusät­zlich: Mit jedem erfol­gre­ichen Pro­duk­tion­szyk­lus hat der Inhab­er mehr und mehr Geld in der Hand als zuvor, und umso schwieriger wird es für die Beschäftigten, ihre eige­nen Inter­essen gegen die wach­sende Macht der Unternehmer durchzuset­zen. Selb­st Streiks kann der Unternehmer ein­fach aus­sitzen, während den Beschäftigten dann meist schlicht Auskom­men fehlt. Para­dox­er­weise sind die Arbei­t­en­den vom Wohlwollen der Inhab­er umso stärk­er abhängig, je bess­er der Betrieb läuft. Aus der Gegen­wart ist uns dieser Zusam­men­hang aus dem Wech­sel­spiel von „Reko­rdgewin­n­jahren“, auf die meist ein großer „Per­son­al­ab­bau“ fol­gt. Die Arbei­t­en­den ver­stärken mit ihrer Arbeit also ihre eigene Abhängigkeit und ent­frem­den sich deshalb von ihr. Dadurch, dass die pro­duzierten Werte dann auch noch in den Staat ein­fließen, der im Zweifels­fall eben­so stets eher die Inter­essen der Kap­i­tal­is­ten schützt und dafür die Rechte der Arbei­t­en­den unter­drückt, sich frei zu ver­sam­meln und für ihre Ansprüche zu kämpfen – mit anderen Worten: dadurch, dass die Arbei­t­erin­nen ihre eigene Unter­drück­ung pro­duziert haben –, entste­ht let­z­tendlich eine sehr stark ablehnende Hal­tung, sozusagen ein Bruch zwis­chen Arbei­t­en­den und der Gesellschaft, eine Sit­u­a­tion völ­liger Entfremdung.

Auf diesem Grundgedanken auf­bauend wurde in neuer­er Zeit wieder ver­mehrt darauf hingewiesen, dass nicht nur in der kap­i­tal­is­tis­chen Fab­rik, son­dern auch in vie­len anderen Bere­ichen des Lebens ähn­liche Ent­frem­dungsef­fek­te auftreten. Argu­men­tierte der klas­sis­che Marx­is­mus noch, dass solche Ent­frem­dungsef­fek­te eben in der Natur kap­i­tal­is­tis­ch­er Pro­duk­tion lägen und nur durch deren Abschaf­fung neu­tral­isiert wer­den kön­nen, wurde in neuer­er Zeit ver­mehrt danach gefragt, wie eine solche Trans­for­ma­tion denn auch in anderen Lebens­bere­ichen als in den unmit­tel­bar kap­i­tal­is­tis­chen Ver­hält­nis­sen in der Fab­rik ausse­hen kann. Die Frage, was Ent­frem­dung heute bedeutet, geht dadurch mit ein­er anderen Per­spek­tive auf Staat und Rev­o­lu­tion ein­her: Nicht mehr als Neben­wider­spruch und Ober­flächen­phänomen soll Ent­frem­dung behan­delt wer­den, son­dern als soziale Patholo­gie, nicht als Symp­tom, son­dern als die zu heilende Krankheit selbst.

Im Fol­gen­den sind Besprechun­gen von Büch­ern ver­sam­melt, die der Ent­frem­dung in ver­schiede­nen Bere­ichen nachgehen.

Teil 1 – Daniel Loick:

Ent­frem­dung als Juridis­mus – Ein neues Recht für einen neuen Menschen

Der in der Bun­desre­pub­lik recht bekan­nt gewor­dene (hin und wieder als ultra-links rezip­ierte) Philosoph Daniel Loick hat 2017 seine Habil­i­ta­tion­ss­chrift über Ent­frem­dung in Recht und Jus­tiz vorgelegt. Unter der Beze­ich­nung „Juridis­mus“ fasst er dabei Symp­tome von Ent­frem­dung durch Rechtssys­teme im Spätkap­i­tal­is­mus zusam­men (13).

Ganz grob umris­sen gibt es für Loick vier Prob­lem­bere­iche: Erstens pro­duzieren mod­erne juris­tis­che Sys­teme manch­mal schlicht falsche Erwartun­gen, die ent­täuscht wer­den. Die bürg­er­liche Form von Recht führe zweit­ens zu Illu­sio­nen und zu Ide­olo­gie. Sie führe außer­dem drit­tens zu Beschädi­gun­gen der Psy­che und zum Ver­lust der Fähigkeit zu ein­er klaren Kom­mu­nika­tion. Jed­er Men­sch, der schon ein­mal unfrei­willig in die ver­winkelte, feindliche Denkweise eines juris­tis­chen Ver­fahrens ver­wick­elt war, wird sofort wis­sen, was hier gemeint ist. Viertens meint Loick einen Ver­lust poli­tis­ch­er Hand­lungs­fähigkeit von Men­schen und sozialen Bewe­gun­gen im Bere­ich des mod­er­nen Rechts zu erkennen.

Ent­frem­dung und Entsetzlichkeit

Aber von vorne. Loick errichtet seine Unter­suchung selb­st nicht vor dem Hin­ter­grund ein­er spez­i­fis­chen poli­tis­chen oder sozialen Bewe­gung. Sein Zugang ist abstrakt, genauer: sozial­philosophisch. Es geht Loick nicht nur um die eventuelle Ungerechtigkeit der Ergeb­nisse von rechtlichen Regelun­gen, son­dern um die Frage, inwiefern die Form des Rechts sel­ber ein Hin­der­nis auf dem Weg zu einem gelin­gen­den men­schlichen Zusam­men­leben darstellt (11).

Diese Entschei­dung hat einige Vorteile, stellt die Studie aber auch vor große begrif­fliche Prob­leme. Denn die große Frage im Raum, die unbeant­wortet bleibt, lautet: Sind denn die Men­schen über­haupt alle gle­icher­maßen und im gle­ichen Sinne an einem gelin­gen­den Zusam­men­leben inter­essiert und wie sähe dieses aus? Die tra­di­tionelle, nicht ganz unüberzeu­gende Antwort lautete ja: Nein, sind sie nicht. Kön­nen sie auch nicht, weil prinzip­ielle objek­tive Inter­essenkon­flik­te eine Eini­gung unmöglich machen. Zumin­d­est der klas­sis­chen Auf­fas­sung nach ist die kap­i­tal­is­tis­che (und auch die patri­ar­chale) Form der Arbeit­steilung ganz sim­pel gesagt nicht dazu in der Lage, dauer­haft einen zufrieden­stel­lend verteil­baren Über­schuss zu pro­duzieren, der Kon­flikt ist also unauswe­ich­lich vor­pro­gram­miert. Auch in eigentlich jed­er anderen der neuen sozialen Bewe­gun­gen gibt es diese Idee in der ein oder anderen Form.

Fem­i­nis­tis­che Bewe­gun­gen etwa kön­nen und wollen zurecht nicht ein­fach ein friedlich­es Zusam­men­leben mit het­ero­nor­ma­tiv­er Männlichkeit ein­fordern. Es gibt aus ihrer Sicht gute Gründe zu der Annahme, dass diese Form von Männlichkeit ganz prinzip­iell auf ein­er sys­tem­a­tis­chen Abjek­tion und Abw­er­tung von Frauen* und Weib­lichkeit beruht. Daher sind die Strö­mungen des radikalen Fem­i­nis­mus stets auch an ein­er prinzip­iellen Ablehnung dieser Geschlechter­bilder inter­essiert, bevor von einem gelin­gen­den Zusam­men­leben auch nur die Rede sein kann. Die Geschichte der engen Verzah­nung von Staatlichkeit und herrschen­der Männlichkeit gibt ihnen dabei oft­mals recht. Aber auch anti-ras­sis­tis­che und postkolo­niale Bewe­gun­gen, sowie Kri­tiken an mod­er­nen For­men inter­na­tionaler Arbeit­steilung (die oft Abhängigkeit­en der Län­der eher ver­stärkt als sie abzu­mildern), weisen ganz zurecht darauf hin, dass es eine neu­trale Grundge­samtheit von gle­ichen Men­schen schlicht gar nicht erst gibt – und es deswe­gen auch müßig ist, ein Man­gel an geeigneten (rechtlichen) Mit­teln zur Gestal­tung eines har­monis­chen Miteinan­ders zu bekla­gen. Staat und Recht nehmen diese Men­schen schlicht – wie es auch die klas­sis­che Per­spek­tive zumin­d­est rudi­men­tär tat – oft als Werkzeug ihrer eige­nen Unter­drück­ung wahr, im Rah­men der­er es keine gemein­samen Inter­essen von Unter­drück­ern und Unter­drück­ten geben kann. Auch nicht zulet­zt ein großer Teil der Umwelt­be­we­gung weist darauf hin, dass es sich beim anhal­tenden Raub­bau nicht um eine Patholo­gie von Gesellschaft oder Recht an sich han­delt, son­dern schlicht um eine Durch­set­zung bes­timmter, oft: kap­i­tal­is­tis­ch­er Inter­essen, die mit den Exis­tenzbe­din­gun­gen der Natur unvere­in­bar sind.

Ist das Recht noch zu retten?

All diese Schwierigkeit­en mit der Span­nung zwis­chen ein­er auf For­maspek­te fokussieren­den Kri­tik ein­er­seits und ein­er Inhalt­skri­tik ander­er­seits bleiben vor­erst aus­geklam­mert. Loick will sich damit den Raum für eine for­male Begriff­sar­beit schaf­fen, mit Hil­fe der­er erst im Nach­hinein auf die Bewe­gun­gen und den Inhalt des Rechts zurück­geschwenkt wird. Doch die Begriff­sar­beit selb­st strauchelt eher unter dieser unge­heuren Ver­drän­gungsleis­tung, als dass sie gedei­ht. Deut­lich wird das schon an Loicks ein­lei­t­en­der Inter­pre­ta­tion ein­er Nov­el­le von Hein­rich von Kleist, die deren Sinn gren­zw­er­tig ver­biegt. Es han­delt sich um das Stück Michael Kohlhaas. Der Pro­tag­o­nist Kohlhaas, der mit Pfer­den han­delt, wird darin von der kor­rupten staatlichen Obrigkeit um zwei sein­er Pferde bet­ro­gen. All seine Ver­suche, die Angele­gen­heit auf dem Rechtsweg zu klären, enden mit Aus­flücht­en seit­ens der Täter: Die staatliche Gerichts­barkeit ist wed­er wil­lens noch in der Lage, gegen sich selb­st vorzuge­hen, die Täter zu bestrafen und Kohlhaas’ Schaden zu kom­pen­sieren. Ganz im Gegen­teil wird Kohlhaas und sein Umfeld eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht: Sein Angestell­ter wird schw­er mis­shan­delt, Kohlhaas’ Part­ner­in Lis­beth, die eine roman­tis­che Beziehung mit ihm pflegt, wird let­ztlich, weil sie sich in der Sache engagiert, von einem Söld­ner der Obrigkeit umge­bracht – was in gängi­gen Zusam­men­fas­sung übri­gens gerne als „Unglück“, „zu Tode kom­men“ oder ähn­lich beze­ich­net wird, und in Loicks Kurz­darstel­lung gle­ich gar nicht vorkommt. Kohlhaas radikalisiert daraufhin sein Vorge­hen, bildet eine Bande und ter­ror­isiert auf der Suche nach Gerechtigkeit das umliegende Land und die Städte, die er plün­dern lässt und nieder­bren­nt. Kohlhaas wird bei der Ver­fol­gung seines erlit­te­nen Unrechts selb­st zum Mörder.

Trotz dieser wahrhaft chao­tis­chen Sit­u­a­tion inter­pretiert Loick die Geschichte als eine Para­bel über ein „Zuviel an Recht“ (11) – es sei ger­ade Kohlhaas’ Rechtschaf­fen­heit, die die Entset­zlichkeit der Geschichte aus­mache. Ander­sherum: Ohne Kohlhaas’ Unbeugsamkeit und Sturheit wäre die Geschichte auch nicht der­art entset­zlich aus­ge­fall­en. Als ob die Geschichte nicht ger­ade nach ein­er Inter­pre­ta­tion im Sinne ein­er mate­ri­al­is­tis­chen Klassen‑, Staats- und Recht­s­the­o­rie ver­lan­gen würde, die her­ausstellt, inwiefern das schein­bar neu­trale Recht nur den Junkern dient (denn let­z­tendlich sind diese in ihrer Posi­tion auf­grund eines Unter­drück­ungssys­tems, das sich einen legit­i­men Anstrich gibt), schnei­det Loick diese Hin­ter­gründe zunächst völ­lig ab und zieht stattdessen einen weit­eren Trick aus der The­o­riek­iste: Die imma­nente Kri­tik.

Anstelle eine Vision über eine befre­ite Gesellschaft ihrer unfreien Real­ität gegenüberzustellen und ein Pro­gramm der Besserung zu entwick­eln – heute schein­bar ein großes no-go in der Gesellschaft­s­the­o­rie – muss natür­lich „die Real­ität sozialer Prak­tiken mit den in ihnen selb­st verkör­perten nor­ma­tiv­en Prinzip­i­en [kon­fron­tiert wer­den]” (12). Ein solch­es Vorge­hen ver­spricht einen großen Vorteil: Ganz offen­sichtlich wan­deln sich patri­ar­chal-kap­i­tal­is­tis­che Rechts­for­men beständig, und eben­so offen­sichtlich wan­deln sie sich manch­mal auch „zum Guten“. Wer eine imma­nente Kri­tik betreibt, nimmt diesen Wan­del zum Besseren mit in seine The­o­rie auf und läuft nicht Gefahr, Recht, Staat und Gesellschaft nur eindi­men­sion­al als alleiniges Werkzeug ein­er bösen, ver­schwörerischen Kaste zu begreifen.

Stattdessen kann Loick sich offen die Frage stellen, warum „das mod­erne Recht, obwohl es Frei­heit und Gle­ich­heit real­isieren soll, Frei­heit und Gle­ich­heit behin­dert“ (13). Tra­di­tioneller ori­en­tierte Stand­punk­te haben es da leichter: Das Recht hat über­haupt gar nichts mit Frei­heit oder Gle­ich­heit zu tun, son­dern ist ein Ergeb­nis von Klassenkämpfen und ‑kom­pro­mis­sen sowie den sich wan­del­nden Anforderun­gen an die Repro­duk­tion. Wer­den die Maschi­nen kom­plex­er, wer­den bess­er aus­ge­bildete Bedi­en­mannschaften gebraucht – die aber formt man nicht in der 16-Stun­den-Schicht am Web­stuhl (wo sie früh einge­hen) son­dern im rel­a­tiv angenehmen Nor­malar­beitsver­hält­nis, und dazu gehören dann auch ein paar Rechte, die die Illu­sion erweck­en kön­nen, frei und gle­ich zu leben. Mit Loicks Fragestel­lung hinge­gen erscheint „das Recht … nicht nur als unzure­ichen­des Gegen­mit­tel, son­dern vielmehr selb­st eine Ursache für … soziale Patholo­gien“ (16) – wohlge­merkt das Recht selb­st, und nicht etwa die Urhe­ber dieses Rechts, wer auch immer sie sein mögen.

Mit Marx gegen Marx

Welche Herange­hensweise hat nun Recht? Eine ern­sthaft mate­ri­al­is­tis­che Per­spek­tive muss natür­lich stets bei­de Seit­en im Blick haben. Es ver­bi­etet sich, ein­fach unter ein­er falschen Anrufung der Autorität etwa eines „wahren Marx“ die Ent­frem­dungskri­tik des Rechts und ihren ver­meintlich „falschen Marx“ zu denun­zieren. Solche philol­o­gis­chen Zirkel­be­weise müssen ein Ende find­en, wenn mate­ri­al­is­tis­che The­o­rie eine sin­nvolle Zukun­ft haben will (ander­er­seits lässt es aber auch Loick sich nicht nehmen, noch ein­mal dem bere­its toten Hund eines Basis-Über­bau Wider­spiegelungs­marx­is­mus nachzutreten (15), obwohl sel­biger längst nicht mehr die Gan­gart der linken The­o­rie vorgibt). Der Mode der Zeit fol­gend, die dik­tiert, dass es die frei­w­er­dende Nis­che zwis­chen Ableitungs­marx­is­mus, Linksradikalis­mus und kraft­losem Reformis­mus auf jeden Fall zu beset­zen gilt, will Loick „nicht die Forderung nach Abschaf­fung oder Über­win­dung von Recht, wie sie in eini­gen Vari­anten marx­is­tis­ch­er oder anar­chis­tis­ch­er Gesellschaft­skri­tik erhoben wird“ (18) wiederholen.

Nun müsste man, schon der Fair­ness hal­ber, ein wenig darüber reden, dass die über­haupt in Frage kom­menden For­men des Marx­is­mus ger­ade keine Abschaf­fung oder Über­win­dung von Recht gefordert haben, son­dern vielmehr ein Bemühen, Ver­hält­nisse zu schaf­fen, in denen die Notwendigkeit von beson­der­er Gewalt, Staat und Recht sich erkennbar im Abster­ben befind­et. Diese Marx­is­men haben dabei teils erhe­bliche Energie in den Ver­such gesteckt, diesen Umstand zu beschreiben und the­o­retisch zu begrün­den. Allerd­ings, es trifft zu, dass seit diesen Ver­suchen sehr viel Zeit ver­gan­gen ist, und es schw­er­fällt, diese weitre­ichen­den und lei­der abstrak­ten Fra­gen all­ge­me­ingültig zu beant­worten. Loick wählt deshalb den Umweg über die Philoso­phiegeschichte von Hegel zu Marx und Niet­zsche, um sich dem Prob­lem zu näh­ern. Kann Loick zeigen, dass die vom Marx­is­mus stets beack­erte These – Staat und Recht seien, trotz aller Kniffe, let­z­tendlich doch abhängig von Klassenkampf und ökonomis­ch­er Basis – sich heute als falsch erweist, und eine „radikale Trans­for­ma­tion von Recht“ (18) wirk­lich möglich ist?

Dieser Begriff der Trans­for­ma­tion gren­zt sich von anderen Poli­tik­for­men ab, gemeint sind die klas­sis­chen Vorstel­lun­gen der radikalen Linken: Nicht nur repräsen­ta­tive Poli­tik­for­men (Partei, Gew­erkschaft, Klassenkampf und Rev­o­lu­tion etc.), son­dern auch solche „Aktions­for­men, die auf der Ebene der Zivilge­sellschaft, der Ökonomie oder der Intim­beziehun­gen direkt anset­zen“ (21), sollen als Poli­tik anerkan­nt wer­den. Das ist ein­er­seits nur die begrüßenswerte the­o­retis­che Anwen­dung der 50 Jahre alten Forderung, auch das Pri­vate sei poli­tisch. So notwendig es ist, diese Erken­nt­nis ern­sthaft in die poli­tis­che The­o­rie einzubauen, so anachro­nis­tisch wirkt sie den­noch in ein­er Welt, die nicht mehr vom Auf­bruch der 60er- und 70er-Jahre, son­dern von der Depres­sion der post-1989, post‑9/11, post-Trump, post-Syrien, post-Brex­it Welt etc. geprägt ist. Zum Zeit­punkt dieses Textes ist der par­la­men­tarische Arm der Frem­den­feindlichkeit und des beschle­u­nigten, nation­al abgeschirmten Neolib­er­al­is­mus, die AfD, auf Bun­de­sebene zur zweit­stärk­sten Kraft in der Son­ntags­frage gewor­den – und lässt mit ihrem Hass auf die „links­grüne“ Gesellschaft gar keinen Zweifel daran beste­hen, dass sie sich von der poli­tis­chen Kraft des Pri­vat­en oder auch der Zivilge­sellschaft nicht im ger­ing­sten hinein­regieren lassen wird, wo immer sie in Entschei­dungspo­si­tio­nen kom­men sollte. Im Gegen­teil sind schon jet­zt ger­ade die Insti­tu­tio­nen, die sich mit der Arbeit an Lebens- und Beziehungsweisen befassen, das allererste Angriff­sziel von AfD-Funktionär*innen, während z. B. die recht­sradikale Regierung Ungar­ns seine Zer­stück­elung etwa der Gen­der Stud­ies und der son­sti­gen Oppo­si­tion schon fast vol­len­det hat.

Trans­for­ma­tion und Sou­veränität – Wider­stand nur ohne Machtoption

Diese rapi­den Entwick­lun­gen wer­fen die Frage auf, ob Loicks Vorstel­lung von Trans­for­ma­tion und Wan­del, in dessen Dienst die Analyse des Juridis­mus doch ste­ht, in naher Zukun­ft über­haupt noch Gel­tung haben kön­nen. Die Akteur*innen ste­hen Loick zufolge vor dem Dilem­ma, ein­er­seits „soziale Prak­tiken zu etablieren … die dem Rechtscode gegenüber indif­fer­ent oder inkom­men­su­ra­bel sind“, ander­er­seits müssen sie „das Recht fordern, und somit Trans­for­ma­tion betreiben“ (21). Das ist zunächst eine tre­f­fende Abbil­dung der gegen­wär­ti­gen Sit­u­a­tion: Ein­er­seits soll Aktivis­mus radikal, mil­i­tant, queer und vor allem kom­pro­miss­los gegen Staat und Kap­i­tal vorge­hen – ander­er­seits sollen Aktivis­ten sich aufrichtig empören, als hät­ten sie von Staat und Recht, eben noch als Bluthunde des Kap­i­tals ver­teufelt, eigentlich etwas besseres erwartet. Doch gle­ichzeit­ig ist es eben auch nicht viel mehr als die Abbil­dung der Diskursstrate­gie, wie sie aktuell betrieben wird und wie sie eben auch in die aktuellen poli­tis­chen Krise hineinge­führt hat: Der ver­meintliche Vorteil dieser diskur­siv­en Dop­pel­strate­gie für in die totale poli­tis­che Depres­sion und “linke Melan­cholie” (Enzo Tra­ver­so). Das Kri­tik­mod­ell, dass der Gesellschaft ihren Spiegel vorhal­ten will, baut darauf, dass diese Gesellschaft vor diesem Anblick auch tat­säch­lich erschrickt und Besserung gelobt – doch gegen­wär­tig deutet nichts darauf hin, dass die bürg­er­liche Mitte des Spätkap­i­tal­is­mus dafür noch hin­re­ichend Kräfte mobil­isieren kann.

Loicks Trans­for­ma­tion­s­mod­ell stellt die Frage: Wie kann man den sta­tus quo radikal kri­tisieren, und den­noch gle­ichzeit­ig Forderun­gen an seine Insti­tu­tio­nen stellen? Was bei dieser Frage aber außen vor bleibt, ist die Gemein­samkeit zwis­chen bei­den Seit­en. Denn in bei­den Vari­anten bleibt das poli­tis­che Sub­jekt außer­halb der Sou­veränität: Der Aktivis­mus fordert etwa das Recht von der Sphäre des Pri­vat­en her her­aus, oder er trans­formiert das Recht, indem er Forderun­gen an es stellt. Aber ein Szenario, in dem der Aktivis­mus selb­st in die Ver­ant­wor­tung kommt, Recht zu set­zen, also etwa selb­st in die Mehrheit zu kom­men und die Gestal­tungs­macht der Insti­tu­tio­nen tat­säch­lich selb­st zu ergreifen, hat in dieser Denkweise nur noch wenig Platz. Die Idee, dass nicht eine Trans­for­ma­tion, son­dern eine Ergrei­fung des gesellschaftlichen Gestal­tungspo­ten­tials tat­säch­lich mach­bar ist, die das Recht nicht kri­tisiert, son­dern neues, besseres Recht schafft, liegt jen­seits des Ter­rains der Untersuchung.

Hegel vor­wärts und rückwärts

Loick klam­mert auch diese Frage ein und wen­det sich also dem Juridis­mus als Ent­frem­dung zu, wie er von Hegel beschrieben wird. Loick zeigt die ver­schiede­nen Dimen­sio­nen von Hegels Schriften, die the­ol­o­gis­che, die anthro­pol­o­gis­che, etc. und spricht sog­ar den Spring­punkt aller solch­er philosophis­chen Argu­men­ta­tion­sweise an: „Inwiefern lassen sich aus dem deskrip­tiv­en Nach­weis, dass der Men­sch sozial ist … über­haupt ethis­che, moralis­che oder poli­tis­che, das heißt präskrip­tive Kon­se­quen­zen ziehen?“ (37).

Als aufgek­lärter Mate­ri­al­ist weiß natür­lich auch Loick, dass kein Knecht jemals von seinem Her­rn die Frei­heit bekom­men hat, weil er jenen von seinem neg­a­tiv­en Frei­heits­be­griff geheilt und von einem Hegelschen Begriff „sozialer Frei­heit“ (39) überzeugt hat – und dass die Antwort daher nur laut­en kann, dass sich aus deskrip­tiv­en Sätzen eben unter keinen Bedin­gun­gen präskrip­tive Sätze ableit­en lassen bzw. genauer: Es lassen sich tat­säch­liche jede Menge Sätze irgend­wie begrün­den, nur erwächst deren tat­säch­liche Gel­tungskraft niemals aus den Sätzen selb­st, son­dern aus der mal mehr mal weniger großen ide­ol­o­gis­chen Ver­drän­gungsleis­tung, die mit ihnen in die Wege geset­zt wird, weil die prinzip­ielle Anord­nung des Staates ihnen stets ent­ge­gen­ste­ht. Wäre der Staat darauf aus, Inter­essenkon­flik­te zwis­chen seinen Mit­gliedern zu mildern, so benötigte er offen­bar auch keine präskrip­tiv­en Begrün­dun­gen sozialer Frei­heit – sein Ziel wäre es ja bere­its, im Kon­flik­t­fall zu ver­mit­teln (was immer die genaue Begrün­dung sei), schlicht weil es sich bei den Kon­flik­t­parteien um Men­schen han­delt. Allein, es wird die prinzipelle Lek­tion leicht vergessen, dass dem eben nicht so ist: Der Staat ist – in eben der Hegel ent­ge­genge­set­zten Sichtweise – nicht die Agen­tur der Har­monie, son­dern der Ver­wal­ter der Kon­flik­te zwis­chen ver­schiede­nen Klassen und Schicht­en in einem glob­alen Rin­gen um Dom­i­nanz unter ein­er par­tiku­laren Führung. Nur als solch­er benötigt er aus dem Deskrip­tiv­en abgeleit­ete präskrip­tive Moral­sätze: Ein­er­seits, um seine Herrschaft ide­ol­o­gisch zu legit­imieren, ander­er­seits, um mith­il­fe eines organ­isierten philosophis­chen Mech­a­nis­mus sicherzustellen, dass die eigene Repro­duk­tion­sweise auch vor dem Hin­ter­grund tech­nis­chen und natür­lichen Wan­dels zukun­fts­fähig bleibt, wozu eben hin und wieder auch die ide­ol­o­gis­chen Leit­sätze über­prüft und ggf. rev­o­lu­tion­iert wer­den müssen.

Diese Ebene kommt bei Hegel noch nicht vor, und sie kommt bei Loick und der Kri­tik von Ent­frem­dungsef­fek­ten nicht mehr vor. Es kann gute Gründe geben, diese Ebene nicht mehr zu unter­suchen. Aber ganz im Min­desten müsste diese wirk­lich grundle­gende Fragestel­lung, in welch­er poli­tis­chen Ver­fas­sung der Kri­tik von Ent­frem­dungsef­fek­ten, der Kri­tik von Lebens­for­men oder der Formierung präskrip­tiv­er Sätze über­haupt eine Gel­tungskraft zukom­men kann, doch jed­er Pub­lika­tion als offene Diskus­sion voranstehen.

Anson­sten liegt die Stärke des Bands bei der Darstel­lung des Span­nungs­felds zwis­chen Kri­tik und Gegenkri­tik, die außer bei Hegel auch in Reli­gio­nen, in der Lit­er­atur und sog­ar in Kinofil­men unter­sucht wird, inklu­sive ein­er Wieder­hol­ung etwa der­sel­ben schiefen Inter­pre­ta­tion von E. L. Doc­torows Roman Rag­time, wie sie schon bei Kohlhaas vorgeze­ich­net war. Der lim­i­tierende Fak­tor bleibt dabei stets das aus­geschlossene Dritte: eine Kri­tik, die den Rah­men der Imma­nenz und der Ent­frem­dung nicht über­schre­it­et, kann eine Welt nicht denken, in der pro­gres­sive Gegen­macht oder Gegenge­walt gewinnt.

Frag­würdig bleibt daher auch Loicks Sicht auf Marx’ Inter­pre­ta­tion der franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion und ihrem Umschlag in die Dik­tatur: „Wenn die Men­schen keine inner­lich affir­mierten Gemein­samkeit­en mehr zusam­men­hal­ten, so ver­hin­dert nur noch ein externes Band das Auseinan­der­fall­en der Gesellschaft. Sozial desin­te­gri­erte Gesellschaften sind daher grund­sät­zlich stärk­er auf die Gewal­tap­pa­rate des Staates angewiesen“ (46). Dass der Staat aber der Gewal­tap­pa­rat in der Hand ein­er Menge mit dur­chaus affir­mierten Gemein­samkeit­en sein kön­nte, der eine andere Menge unter­drückt, bleibt in dieser fahrläs­si­gen Rekon­struk­tion unbeachtet. Wenn Ent­frem­dung als Patholo­gie all­ge­mein the­ma­tisiert wird, ver­stärkt sich damit nur nach all­ge­meinem Zusam­men­ste­hen, nach „Sinn“ und „Gemein­schaft“. Die Idee eines mod­er­nen Rechts auf Leben frei von Ent­frem­dung und frei von Gemein­schaft­szwang, und sei es der der com­mons-Gemeinde, die vor dem Toben des freien Mark­tes zumin­d­est vorge­zo­gen wird, gerät aus dem Blick.

Ver­wandtschaft von Anerken­nung und Entfremdung

Entsprechend kon­stru­iert bleibt auch der Blick auf die Gegen­wart: Etwa der Slo­gan Black Lives Mat­ter rekur­ri­ert laut Loick auf „die poli­tis­che Dimen­sion [der] strafrechtlichen Anerken­nung (oder Nich­tan­erken­nung) ein­er Unrecht­ser­fahrung“ (104). Nun hat die Bewe­gung dankenswert­er­weise noch nicht ganz so viel Hegel gele­sen und zielt deshalb nicht nur auf die Anerken­nung von ras­sis­tis­ch­er Polizeige­walt als Prob­lem, und auch nicht auf eine Kri­tik der Ent­frem­dung, die durch solche Gewalt entste­ht und ein­er Forderung von Anerken­nung durch die weiße Mehrheits­ge­sellschaft, son­dern auf ein Ende von ras­sis­tis­ch­er Polizei- und struk­tureller Gewalt. Und auch wenn bei­des eng zusam­menge­hören mag, han­delt es sich den­noch um einen großen Unter­schied der Per­spek­tive. Es sind Kon­struk­tio­nen wie diese, die die Lek­türe von Loicks Unter­suchung sehr müh­sam machen. Bei jedem Schritt des Argu­ments – das sehr wohl pointierte Stu­di­en zu Lit­er­atur etwa von Haber­mas, Hon­neth, Brown und Deleuze enthält – muss die grund­sät­zliche Ver­schiebung des Diskurs­es hin zu ein­er Mobil­isierung von Sub­al­ter­nität als Kor­rek­tiv des Sys­tems mitbe­dacht, zurückgedacht, umfasst und zurück­ge­spult werden.

Am Ende bleibt ein Ein­druck davon zurück, wie tief der Graben zwis­chen ein­er auf den Grund­la­gen ein­er mate­ri­al­is­tis­chen Staats- oder Geschicht­s­the­o­rie operieren­den Kri­tik und ein­er Kri­tik von Anerken­nung­sprob­le­men auf Basis eines hegel­marx­is­tis­chen Ent­frem­dungs­vok­ab­u­lars im Moment noch ist. Daniel Loick kommt hier jeden­falls der Ver­di­enst zu, die Über­legun­gen ent­lang dieser Gren­ze am Leben zu halten.

von Flo­ri­an Geisler

2 Kommentare

  1. Zu dem Span­nungsver­hält­nis zwis­chen radikaler Kri­tik des Beste­hen­den und dessen Bear­beitung zum Besseren, in dem sich der Band der Rezen­sion nach bewegt, kommt sicher­lich noch der Wider­spruch zwis­chen einem poli­tis­chen Anspruch und den Anforderun­gen ein­er wis­senschaftlichen Qual­i­fika­tion­sar­beit hinzu, die man dem for­malen Charak­ter des Buch­es anmerkt. Ein ähn­lich­es Phänomen ließ sich auch bei Bini Adam­czaks let­ztem Buch zur “Beziehungsweise Rev­o­lu­tion” beobacht­en, das seinen Gegen­stand bis zur Unken­ntlichkeit der For­mal­isierung unter­wirft und dabei hin­ter ihre freieren Arbeit­en zur kom­mu­nis­tis­chen Trauer­ar­beit zurück­fällt. Vielle­icht spielt ja auch hier die “Form” der Wis­senschaft eine Rolle, die der des Rechts ver­gle­ich­bar wäre. Das trifft in etwa auch eine der ersten Irri­ta­tio­nen, die ich mit dem Buch hat­te: Ist denn die sys­tem­a­tis­che Verz­er­rung im Juridis­mus nicht ein­fach Ide­olo­gie im ana­lytis­chen Sinne? Und damit dann gar kein so großes Wun­der, das ein­er kom­plizierten Her­leitung über abwegige The­o­rien und Kul­turgüter bedarf? Aber für solch eine These bedürfte es ger­ade jen­er Analy­seper­spek­tive gesellschaflich­er Total­ität, deren Unmöglichkeit Loick zum Aus­gangspunkt sein­er Unter­suchung dient. Gefühlt war aber selb­st die Sozial­philoso­phie darüber hin­aus, einen solchen Gegen­stand nur aus sich her­aus erk­lären zu wollen. Entsprechend tre­f­fend sind ja auch Loicks Diag­nosen zum Recht, die aber in eine poli­tis­che Hil­flosigkeit ver­fall­en, ger­ade weil sie nicht über Ihre Selb­sterken­nt­nis hin­auskom­men. Dieses Prob­lem finde ich hier im Zusam­men­hang der “imma­nen­ten Kri­tik” gut ange­sprochen, wobei aber berechtigter­weise die Frage offen­bleibt, was genau die Alter­na­tive dazu sein kann. Imma­nente Kri­tik ist ja ger­ade der Ver­such, jen­seits von Ökonomis­mus, Essen­tial­is­mus und Deter­min­is­mus eine radikale Kri­tikper­spek­tive zu entwick­eln, für die das rück­wärts­ge­le­sene Werk von Marx als Kro­nzeuge dient (von alt nach jung). Dass eine solche Abgren­zung aber heute immer mehr zum Schat­ten­box­en wird, weil wirk­lich gar nie­mand eine solche Posi­tion mit Autorität behauptet, ist in der Besprechung auch betont wor­den. Dieser Anachro­nis­mus ste­ht tat­säch­lich in stärk­stem Kon­trats zu dem Selb­st­be­wusst­sein der neo­faschis­tis­chen Kräfte, die kein­er­lei Berührungsäng­ste damit zeigen, alle Ver­suche der Dif­ferenz der Autorität zu opfern.

    • Selb­stver­ständlich kann auch ein Daniel Loick in einem akademis­chen Betrieb nicht ganz das schreiben, was er denkt (son­st wäre er nicht in diesem Betrieb). Aber was ist dabei die langfristige Perspektive?
      Offen­bar soll die Kri­tik der Ent­frem­dung, genau­so wie die Kri­tik bei Adam­czak, dabei helfen, die Trans­for­ma­tion vom Kap­i­tal­is­mus in den Sozial­is­mus hinein zu erre­ichen. “Die Risse im Sys­tem ver­bre­it­ern”, “Welt verän­dern ohne die Macht zu ergreifen”, den “Kap­i­tal­is­mus von innen auf­brechen”, das ist die Strate­gie. Hier: Das Recht so kri­tisieren, dass es an seinen eige­nen Ansprüchen scheit­ert und sich trans­formiert. Das ist nicht die schlecht­este Per­spek­tive. Aber, und das ist der ganze Punkt: Es sieht im Moment nicht danach aus. Es sieht nicht danach aus, dass es Risse im Sys­tem gibt. Der Recht­sruck erscheint nicht als Lück­en­büßer, son­dern fügt sich völ­lig organ­isch in die Insti­tu­tio­nen ein. Die Krise lässt nichts zusam­men­stürzen, sosehr man auch darauf hofft, son­dern sta­bil­isiert alles. Blankgeputzte Ober­fläche wie eine Bowlingkugel.
      Was der Gegen­satz zu dieser Strate­gie der Imma­nenz wäre? Naja: “Sagen, was ist.” Die mod­erne Wirtschaftsweise hat einen Human­is­mus her­vorge­bracht, der gegen­wär­tig nicht erfüllt wird. Vielle­icht klappt’s in nochmal 150 Jahren, wenn volle Gle­ich­stel­lung und ein gren­zen­los­es Grun­deinkom­men erre­icht sind. Wer daran nicht glaubt (oder nicht solange warten will, weil’s mit dem let­zten Mal 150 Jahre warten auch nicht geklappt hat), kann ja hinge­hen, und es jet­zt ein­fordern. Ob eine Poli­tik des Human­is­mus die Macht bekom­men kann oder nicht, ste­ht auf einem anderen Blatt, aber erst mal *wollen* müsste man.
      Aber die Diag­nose, dass Recht oder Macht schon “der Form nach” kor­rumpiert, regt natür­lich nicht dazu an, zu Erken­nen, dass das Recht men­schengemacht ist, und damit auch verän­der­bar ist – jet­zt. Es erzieht Leute dazu, vor den Gat­ed Com­mu­ni­ties der Mächti­gen sitzen zu bleiben und darüber zu lamen­tieren, dass die Form des Zaunes irgend­wie gemein ist. Nicht die Form des Zaunes, nicht *dass* er teilt und verbindet, son­dern *was* und *wen* er teilt, scheint doch das wichtigere zu sein. Ich finde schon, dass man diesen Effekt zumin­d­est irgend­wie kon­trol­lieren sollte, auch wenn es quer zur Mei­n­ung an den Lehrstühlen geht.

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