Aufklärung in postfaktischen Zeiten

Die media­len Kom­men­ta­re der­zeit schei­nen sich einig im Bekennt­nis, wir leb­ten in post­fak­ti­schen Zei­ten: Fake-News, der Tri­umph der Affek­te über die Fak­ten, Het­ze und Ver­leum­dun­gen im Netz. Von Donald Trumps Wahl­kampf bis zu fal­schen Zita­ten Rena­te Kün­asts las­sen sich deut­li­che Sym­pto­me des­sen aus­ma­chen. Der öster­rei­chi­sche Bun­des­prä­si­dent­schafts­wahl­kampf brach­te ein beson­ders dras­ti­sches Schlag­licht in die­sem Zusam­men­hang her­vor. Aus FPÖ-Krei­sen griff ein ver­stö­ren­des Face­book­post ein Wahl­pla­kat­mo­tiv des grü­nen Kan­di­da­ten van der Bel­len auf – Kan­di­dat im Hemd vor Alpen­ku­lis­se mit Hund – und brach­te es mit Selbst­bil­dern Hit­lers in ver­gleich­ba­rem Set­ting zusam­men. Der Bei­trag wies zugleich dar­auf hin, dass man fak­tisch nichts unter­stel­le, aber natür­lich wirk­te es. Und mehr soll­te es auch nicht. Die Wir­kung ziel­te auf die Dis­po­si­ti­on der Betrach­ter, die auf­ge­grif­fen und ver­stärkt wer­den soll. Und das gan­ze geht unge­fähr so: Die poli­ti­schen Eli­ten des soge­nann­ten Estab­lish­ment, weil sie alles kon­trol­lie­ren kann man ihnen nichts nach­wei­sen, aber man fühlt doch, dass sie die Ver­ant­wort­li­chen für die gro­ße Mise­re sind, die Nutz­nie­ßer mindestens.

Eine affek­ti­ve Logik mit der man in die­sem Fal­le dem libe­ra­len poli­ti­schen Geg­ner den eigent­li­chen Faschis­mus unter­schiebt, wäh­rend man sich selbst die gan­ze Zeit mit dem Nazi­vor­wurf ver­un­glimpft sah. Das setzt eine enor­me Ver­dre­hung von Tat­sa­chen vor­aus. Denn so wie Hit­ler schon der Blen­der des Vol­kes gewe­sen sei, der die tota­le Macht­ver­wal­tung gegen den eigent­li­chen Volks­wil­len durch­setz­te (man wuss­te schließ­lich von nichts oder hat doch nur Befeh­le befolgt etc.), sti­li­siert man sich selbst als die Alter­na­ti­ve dazu, dem (ins­ge­heim faschis­to­iden) Estab­lish­ment gegen­über. Gegen die­ses Estab­lish­ment wer­den auto­ri­tä­re und letz­ten Endes völ­ki­sche Affek­te mobi­li­siert, wo sich „das Volk“ gegen das ihm ver­meint­lich ange­ta­ne Unrecht der poli­ti­schen Klas­se („die da oben“) zur Wehr set­zen sol­le. Das ist Wahn­sinn, ein Wahn der die Sin­ne (die Wahr­neh­mung) umfas­send bestimmt.

Der Mög­lich­keits­be­din­gung eines sol­chen Wahns soll der Begriff post­fak­tisch als Dia­gno­se die­nen. Das Oxford Dic­tion­a­ry hat post-truth zum Wort des Jah­res gewählt und auch der Duden schließt sich die­ser Kür an. Die Aus­wahl über­rasch­te kaum, denn man wuss­te schein­bar intui­tiv, was damit gemeint sei. Es bestä­tigt die dif­fu­sen Wahr­neh­mun­gen einer Welt, die aus den Fugen gera­ten scheint. Post­fak­tisch ist jene Zustands­be­schrei­bung, mit der sich die Hilf­lo­sig­keit der Ver­nunft ange­sichts der regres­si­ven Irra­tio­na­li­tät, die sich über­all Bahn bricht, ange­spro­chen fühlt. Zugleich muss klar sein, sie ist dar­in nicht auf­ge­ho­ben. Wenn also jemand US-ame­ri­ka­ni­scher Prä­si­dent wird, des­sen poli­ti­sches Pro­gramm die mys­ti­sche Lösung aller Pro­ble­me ist, dann trifft die Dia­gno­se, ein ent­spre­chen­der Wahl­er­folg basie­re nicht auf fak­ti­scher Gel­tung, son­dern auf affek­ti­ver Mobi­li­sie­rung. Aber die­se Dia­gno­se löst nichts der Rat­lo­sig­keit ange­sichts der Grund­la­ge des­sel­ben. Man bleibt mit der Fest­stel­lung post­fak­ti­scher Ver­hält­nis­se genau dort ste­hen, wo man ver­zwei­feln muss.

In die­sem Sin­ne beschwer­te sich die Zei­tung Le Mon­de, sie besit­ze nicht die nöti­gen Res­sour­cen, die ste­tig wach­sen­de Zahl der Falsch­mel­dun­gen der sozia­len Medi­en zu wider­le­gen. So auch im Fall eines angeb­li­chen Posts Mari­ne Le Pens, das den amtie­ren­den Prä­si­den­ten Hol­lan­de, welch Über­ra­schung, mit Hit­ler ver­glich. Le Mon­de konn­te schließ­lich klar­stel­len, dass Le Pen die­se Unter­stel­lung nicht getä­tigt hat. Und hier nun das Dilem­ma: es kommt gar nicht mehr dar­auf an, ob und was über­haupt stimmt, es wirkt trotz­dem. Für vie­le bedarf es kei­ner Bele­ge, dass Hol­lan­de, der selbst­süch­ti­ge Macht­mensch, sei­ne Agen­da zum Macht­er­halt auf­stel­le und gegen die ein­fa­chen Leu­te und ihre ver­meint­li­chen Sor­gen von Über­frem­dung und Arbeits­lo­sig­keit mit Poli­ti­cal Cor­rect­ness und „Links­fa­schis­mus“ vor­ge­he. Es sei ja zu offen­sicht­lich und außer­dem kön­ne man das doch über­all sehen. Das ist Wahnsinn.

Und über die­sen Wahn­sinn soll­te man sich kei­ne Illu­sio­nen machen. Er funk­tio­niert ganz bere­chen­bar und die kol­lek­ti­ve Fas­sungs­lo­sig­keit dar­über oszil­liert irgend­wo zwi­schen Ver­drän­gung und Heu­che­lei. Das wahn­sin­ni­ge Sub­jekt fühlt sich nir­gends woh­ler als in sei­nem Wahn und saugt daher alle Affir­ma­ti­on sei­ner Dis­po­si­ti­on auf. Der Rea­li­täts­ver­lust, der dem Wahn vor­her­geht, wird bestän­dig über­kom­pen­siert durch die Neu­zu­sam­men­set­zung einer wahn­haf­ten Welt, in der alles zur selbst­re­fe­ren­ti­el­len Bestä­ti­gung des Immer­glei­chen wird. Genau die­sem Mecha­nis­mus bedien­te sich stets der Faschis­mus in der Anru­fung, die wahn­haf­te Visi­on der Welt dem Sub­jekt zu erfül­len. Aber die Erfül­lung des Wahns ist die Zer­stö­rung, in letz­ter Kon­se­quenz der Tod. Nur ein Gegen­mit­tel kennt der Wahn, das ist die Erkennt­nis der Dis­po­si­ti­on und ihrer Gene­se, um dar­über Mün­dig­keit erlan­gen zu kön­nen. Indi­vi­du­ell heißt das Psy­cho­ana­ly­se, gesell­schaft­lich bedeu­tet es Aufklärung.

Nun rührt die gro­ße Resi­gna­ti­on ja daher, dass mit der ver­wa­sche­nen Dia­gno­se des Post­fak­ti­schen der Auf­klä­rung gera­de ihre Grund­la­ge ent­zo­gen scheint und der Begriff folg­lich meis­tens mit Wör­tern wie ‚naiv‘ und ‚Hoff­nung‘ benutzt wird. Dabei ste­hen zu blei­ben wäre Pas­si­vi­tät und letzt­lich Affir­ma­ti­on der Bedin­gun­gen, unter denen man lei­det, der eige­nen Dis­po­si­ti­on. Des­we­gen ist es gefähr­lich, sich in die­ser hilf­lo­sen Posi­ti­on dem Wahn kor­rek­tiv anneh­men zu wol­len, mit Pegi­da-Anhän­gern zu reden, AfD-Poli­ti­ker mal zu Wort kom­men zu las­sen, da man sie dann erst ver­nünf­tig wider­le­gen kön­ne, Hoff­nun­gen in Trump zu set­zen, viel­leicht wür­de ihn das Amt dis­zi­pli­nie­ren. Von links aus muss es eine kla­re Abgren­zung gegen den Wahn geben, kei­ne Nor­ma­li­sie­rung oder Aner­ken­nung, aber die­se kann nur in der Erkennt­nis sei­ner Sym­pto­ma­tik gesche­hen, die Grund­la­ge sei­ner Ent­ste­hung muss ver­stan­den wer­den. Es muss die Abgren­zung gegen den Wahn an sich sein. Das ist Aufklärung.

Dass eine Lin­ke selbst nicht vor wahn­haf­ten Vor­stel­lun­gen gefeit bleibt, ist his­to­risch und gegen­wär­tig offen­kun­dig. Noto­ri­sche Abdich­tung gegen Kri­tik, ver­kür­zen­de Ana­ly­sen zur Selbst­be­stä­ti­gung, popu­lis­ti­sche Agi­ta­ti­on, alles bekann­te Sym­pto­ma­tik, von der aus dem rech­ten Wahn nur noch vor­zu­wer­fen ist, er sei ein schlech­ter. In die­ser Spie­ge­lung liegt auch die ver­stö­ren­de Dimen­si­on für eine Lin­ke, wenn die eige­ne Kri­tik von rechts ange­eig­net wird, wenn auch in gro­tesk ver­zerr­ter Form. So mit dem Begriff des Estab­lish­ment, der eigent­lich noch aus ’68 und im Punk nach­hallt, und nun die Kampf­an­sa­ge der Regres­si­on kana­li­siert. Ähn­lich mit dem anti­fa­schis­ti­schen Selbst­ver­ständ­nis, das sich impli­zit in den faschis­ti­schen Abgren­zungs­ver­su­chen vom Faschis­mus eines Nor­bert Hofers wie­der­fin­det. Natür­lich ist dies kei­nes­falls ein neu­es Phä­no­men. Eigent­lich ken­nen wir schon lan­ge das Motiv von Mer­kel in SS-Uni­form oder den Ver­gleich von Anti­fa mit SA-Trupps. Der Umgang mit sol­cher­lei Ver­blen­dung wird dort uner­träg­li­ches Pro­blem, wo die Argu­men­ta­ti­on gegen die wahn­haf­te Über­zeu­gung, die fak­ti­sche Wider­le­gung, selbst zu einer Glau­bens­an­ge­le­gen­heit dis­kre­di­tiert wird.

Die­se Los­lö­sung von der Refe­renz der Rea­li­tät beschreibt die post­fak­ti­sche Kon­stel­la­ti­on. Aber die­se Dia­gno­se als plötz­li­che Offen­ba­rung zu prä­sen­tie­ren ver­deckt ihren lan­gen theo­re­ti­schen Vor­lauf. Was dar­in zum Aus­druck kommt ist gewis­ser­ma­ßen das Umschla­gen der als Eman­zi­pa­ti­on gefei­er­ten Ero­si­on der Gewiss­hei­ten in der Post­mo­der­ne, dem Ende der gro­ßen Erzäh­lun­gen (Lyo­tard), der Liqui­die­rung (Bau­man) oder Refle­xi­vie­rung der Moder­ne (Beck), der kon­tin­gen­ten Fun­da­men­te (But­ler). Fou­cault und Deleu­ze bezeich­ne­ten sich in ihrer pro­gram­ma­ti­schen Dekon­struk­ti­on der Wis­sens­for­ma­tio­nen und ihrer Mög­lich­keits­be­din­gun­gen als Anti­fa­schis­ten, weil sie damit der Auf­klä­rung ihr tota­li­tä­res Moment ent­ge­gen­hiel­ten. Anders als Ador­no und Hork­hei­mers Dia­lek­tik der Auf­klä­rung erla­gen sie aber dem Kurz­schluss, jedes sys­te­ma­ti­sche Den­ken sei daher schon tota­li­tär. Der Frei­heits­kampf hat­te den Feind des auto­ri­tä­ren Wis­sens aus­ge­macht und die Vor­stel­lung eines rea­len Bezugs­punk­tes des Den­kens war nur eine Spiel­art jenes Auto­ri­ta­ris­mus. Aber selbst der Vor­zei­ge­post­mo­der­ne Baudril­lard hat­te in sei­nen frü­hen Schrif­ten die­se Refe­renz­lo­sig­keit des Zei­chens noch als Modus der kapi­ta­lis­ti­schen Ver­ge­sell­schaf­tung kri­ti­siert, im Namen der Frei­heit wur­de die­se Kri­tik zur Affir­ma­ti­on. Die mate­ri­el­le Grund­la­ge des Bewusst­seins wur­de selbst zum Dis­kurs, das Bewusst­sein damit wie­der zum Bestim­mer über das Seiende.

Und weil das so viel Eman­zi­pa­ti­on ver­sprach, wur­de es auch zum Pro­gramm des vom Dog­ma­tis­mus befrei­ten Mar­xis­mus. Als der west­li­che Mar­xis­mus im gran­dio­sen Nie­der­gang sei­ner Tra­di­ti­on mit der Ret­tung des Erkennt­nis­an­spruchs der Theo­rie rang, lie­fer­te die Inter­pre­ta­ti­on von Gram­scis Hege­mo­nie­über­le­gun­gen den theo­re­ti­schen Unter­bau des Zeit­geists der Neu­en Sozia­len Bewe­gun­gen – eben­so wie für den spä­te­ren Kul­tur­kampf der Neu­en Rech­ten. Auf die­sem Boden wird heu­te immer noch gestrit­ten, ob Dis­kurs­theo­rie nicht doch die bes­se­re Ideo­lo­gie­kri­tik ist, par­al­lel dazu ob wir einen lin­ken Popu­lis­mus brau­chen. Wer aber ein­mal die Elo­bara­tio­nen Lac­laus, dem Hege­mo­nie­theo­re­ti­ker par excel­lence, liest, fin­det dar­in den ent­schei­den­den Hin­weis auf das Theo­rie­fun­da­ment des Post­fak­ti­schen: heut­zu­ta­ge ist alles Ideologie.

Natür­lich haben die­se Kri­ti­ken ihre his­to­ri­sche Berech­ti­gung, was es gera­de­zu not­wen­dig macht, sie in ihrer Gene­se und ihrem Zusam­men­hang zu ver­ste­hen. Zu die­sem Begrei­fen gehört dann aber auch die Fest­stel­lung, wie in ihren erkennt­nis­theo­re­ti­schen Umwäl­zun­gen das post­fak­ti­sche Zeit­al­ter geschlif­fen wur­de, mit einer grund­le­gen­den Igno­ranz gegen den Umstand, dass die Erkennt­nis der gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se solan­ge Ideo­lo­gie bleibt, wie sie nicht deren Kri­tik ist. Das ist ein Ver­säum­nis nicht zuletzt auch der Theo­rie, deren Insis­tie­ren auf der fun­da­men­ta­len Unbe­stimmt­heit der sozia­len Rea­li­tät viel eher die Form nai­ver Hoff­nung annimmt. Die Beschrei­bung des Post­fak­ti­schen mit der Erkennt­nis er gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se ein­zu­ho­len, allein schon die­sen ent­schei­den­den Unter­schied zu machen, ist daher die Auf­ga­be gegen­über dem dif­fu­sen Zustand, der nicht affir­miert wer­den darf. Das heißt, auch wenn es da drau­ßen gera­de wirk­lich „zum ver­rückt wer­den“ ist, muss es den Moment geben zu erken­nen, wo die Bedin­gun­gen dafür her­rüh­ren. Nicht um der Erkennt­nis wil­len, son­dern weil wie­der­um das die Bedin­gung ist, selbst nicht wahn­sin­nig zu werden.

 

von Alex Struwe

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