Eine neue Frage der Klassenpolitik

Anlässlich der Diskus­sio­nen der diesjähri­gen Tagung der Assozi­a­tion kri­tis­che Gesellschafts­forschung (AkG) stellen wir unter dem Schlag­wort Her­aus­forderun­gen link­er Poli­tik einige Gedanken zusam­men, die sich aus den Beiträ­gen und Prob­lem­feldern der Tagung ergaben. 

 

All­ge­meine Krisen­wahrnehmung und intellek­tuelle Hil­flosigkeit liegen dieser Tage nah zusam­men. Im Aus­tausch über entsprechende Prob­lem­la­gen stößt die kri­tis­che Gesellschafts­forschung wieder an sehr grundle­gende Fra­gen ihres Selb­stver­ständ­niss­es. Eine dieser zen­tralen Her­aus­forderun­gen möchte ich im Fol­gen­den zur Diskus­sion stellen.

Auf ein­er Diskus­sion­srunde der Jahresta­gung der Assozi­a­tion kri­tis­ch­er Gesellschafts­forschung stellt der Sozi­ologe Klaus Dörre eine Studie zu recht­spop­ulis­tis­chen Ori­en­tierun­gen bei Lohn­ab­hängi­gen vor. Sie dient als Verdeut­lichung ein­er Ten­denz zur Ver­fes­ti­gung regres­siv­er Ein­stel­lun­gen – vom konkur­ren­zin­duzierten Sozial­dar­win­is­mus eines fetis­chisierten Leis­tung­sprinzips bis zum offe­nen Men­schen­hass. Ver­fes­ti­gung meint dabei ein­er­seits stetige Aus­bre­itung und Inter­nal­isierung solch­er Deu­tungsmuster, aber sicher­lich auch deren zunehmende Verselb­ständi­gung und Immu­nisierung gegen Kri­tik. Zugle­ich lasse sich bei den inter­viewten Lohn­ab­hängi­gen ein kap­i­tal­is­muskri­tis­ch­er Impuls fest­stellen, so etwas wie ein Bewusst­sein, in einem „Schweinesys­tem“ getrieben zu sein. Die Verquick­ung dieser wider­sprüch­lichen Ten­den­zen fasst Dörre unter dem Begriff „exk­lu­sive Sol­i­dar­ität“ zusam­men, der falschen Aufhe­bung also dieses Wider­spruchs in einem umgedeuteten Verteilungskon­flikt, in dem die Ohn­macht nach „oben“ sich in einen Angriff auf ein ver­meintlich­es Außen kanalisiere.

Impliz­it erteilt diese Fest­stel­lung eine Absage an Strate­gien des lib­eralen Ratio­nal­is­mus, der mit einem vernün­fti­gen Gespräch und dem besseren Argu­ment die Leute wieder in den demokratis­chen Rah­men zurück­holen kön­nte, eben­so wie an Strate­gien eines ver­meintlichen Linkspop­ulis­mus. Die entsprechende Weltan­schau­ung könne bere­its jedes Gege­nar­gu­ment als Selb­st­bestä­ti­gung ver­ar­beit­en und geriere sich zudem als selb­st hyper­demokratisch. Ana­log etwa zur Erfahrung ein­er Wen­de­gen­er­a­tion, wo man es „denen da oben“ aus der Sys­te­mop­po­si­tion her­aus mal so richtig gezeigt hätte, wird die rechte Gesin­nung zum Hebel gegen das kor­rupte Estab­lish­ment. Wie Wolf­gang Menz anschließend aus­führt, han­delt es sich dabei nicht um eine bloße Legit­i­ma­tion­skrise des poli­tis­chen Sys­tems der Demokratie, son­dern um eine struk­turelle Dele­git­imierung Aus der Ein­sicht her­aus, die Poli­tik besitze sowieso keinen Ein­fluss auf das wirtschaftliche Geschehen mehr, wer­den gle­ich gar keine Forderung mehr an diese gestellt. Der daraus abgeleit­ete Mark­tau­tori­taris­mus und die Selb­stun­ter­wür­figkeit der autoritären Charak­tere ver­stärke noch den Hass auf jene ver­meintlich Leis­tung­sun­willi­gen, die sich der Unter­w­er­fung zu entziehen versuchen.

Offen trete in dieser Analyse zutage, dass Wut und Hass jen­er regres­siv­en Ori­en­tierun­gen auf der Wahrnehmung ein­er unver­schulde­ten Anor­mal­isierung und Depri­va­tion beruht­en, deren Hin­ter­grund wiederum eine ver­drängte Klassen­lage sei. Wie schon Didi­er Eri­bon, kommt Klaus Dörre zu dem Ergeb­nis, man müsse entsprechend zu ein­er „Klassen­poli­tik“ zurück­kehren. Das Argu­ment dabei ist in etwa, dass man über die Kon­flik­t­lage ein­er Klasse die falschen Artiku­la­tio­nen wieder ein­binden könne bzw. dass erst aus der Unfähigkeit, die Klassendi­men­sion der sozialen Kon­flik­te zu artikulieren, die rechte Regres­sion hat­te entste­hen können.

Der Rück­griff auf den Klassen­be­griff ist nun aber keineswegs eine unstrit­tige Angele­gen­heit. Denn was genau kann diese Bezug­nahme bedeuten? Möglich ist, dass der Klassen­be­griff als rhetorische Argu­men­ta­tions­fig­ur einge­führt wird. Er wäre dann allerd­ings nicht mehr als eine Art Sam­mel­be­griff für ver­schiedene Kon­flik­t­la­gen, die man mit dem Nim­bus verse­hen würde, sie hät­ten untere­inan­der einen Zusam­men­hang und zudem auch irgen­deinen Bezug zur ökonomis­chen Stel­lung. Strenggenom­men wäre dies aber eine Strate­gie auf der Höhe eines Linkspop­ulis­mus, der nur eine leere Uni­ver­salie anstrengt um poli­tisch zu agi­tieren. Der schein­bare Gege­nen­twurf dazu wäre ein sub­stantieller Klassen­be­griff, der noch mehr offen­sichtliche Schwierigkeit­en mit sich bringt. Wie etwa auch Ste­fanie Hürt­gen in der gle­ichen Diskus­sion­srunde anmerkt, gebe es keine und habe es nie eine ein­heitliche Arbeit­erk­lasse gegeben. Dies sei vor dem Hin­ter­grund ein­er kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft auch hochgr­a­dig unwahrschein­lich, wenn nicht gar unmöglich, denn schließlich sei doch die Grundbe­din­gung der Wert­set­zung die Spal­tung selb­st und entsprechend der Kap­i­tal­is­mus ger­ade jene sys­temis­che Repro­duk­tion der sozialen Ord­nung der Spal­tung. Auch wenn man dage­gen­hal­ten kön­nte, dass die Frag­men­tierung der kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft trotz­dem bedeute, dass es inner­halb des Funk­tion­ierens dieses Sys­tems ein­heitliche Stel­lun­gen zu genau diesem Funk­tion­ieren gäbe, ist der Hin­weis auf eine falsche Vere­in­heitlichung nachvol­lziehbar. Zumal es ja genau die the­o­retis­che Leis­tung ein­er Linken war, den Klassen­be­griff und seinen ver­meintlich geschicht­sphilosophis­chen, deter­min­is­tis­chen und reduk­tion­is­tis­chen Bal­last abzuwerfen.

Das Dilem­ma ver­weist auf ein the­o­retis­ches Prob­lem, dass man sich ein­er­seits zu ein­er Art Neuar­tiku­la­tion sozialer Kon­flik­t­la­gen (schon rein the­o­retisch) genötigt sieht, ander­er­seits aber die Zugeständ­nisse an die Real­ität kap­i­tal­is­tis­ch­er Gesellschaften nicht rück­gängig machen kann. Die Notwendigkeit ein­er Klassen­per­spek­tive darf fol­glich nicht auf Kosten der Anerken­nung der real frag­men­tierten Sub­jek­tiv­itäten passieren und gerät so in die Gefahr eines Kom­pro­miss­es zwis­chen der rhetorischen Radikalität eines Rev­o­lu­tions­vok­ab­u­lars und der Apolo­gie gegenüber der Diver­sität der „Achsen von Herrschaftsver­hält­nis­sen“. Entsprechend ergibt sich daraus die Frage, ob es denn über­haupt die Möglichkeit gibt, eine reale Kon­flik­tlin­ie ana­lytisch auszu­machen, die jenes verbindende Moment her­stellt, das mit der Klasse zu beze­ich­nen wäre. Abhängig von der Antwort darauf ste­ht aber auch die Frage im Raum, wie sich eine solche Per­spek­tive gegenüber jenen Sub­jek­ten ver­mit­telt, die offen­bar empirisch nach­weis­bar eine regres­sive Welt­deu­tung angenom­men haben. Ste­ht hier eine wis­senschaftliche Aufk­lärung dem notwendig falschen Bewusst­sein gegenüber? Ist die Klassen­per­spek­tive nur der Ver­such eines nicht-regres­siv­en Deutungsangebots?

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