Feminismus und Marxismus

 

Buch­be­spre­chung zu Cin­zia Arruz­za: Femi­nis­mus und Mar­xis­mus. Eine Einführung

2017 | 142 Sei­ten kar­to­niert |  12,80 € | isp-pocket 70 | ISBN 978–3899000702

 

Cin­zia Arruz­zas Bei­trä­ge berüh­ren eines der wich­tigs­ten Kern­pro­ble­me gegen­wär­ti­ger Gesell­schafts­theo­rie: die Fra­ge nach dem his­to­ri­schen, theo­re­ti­schen und sys­te­ma­ti­schen Zusam­men­hang von Frau­en- und Arbeiter*innenbewegung. Im Herbst 2017 ist nun im Neu­en ISP Ver­lag eine deutsch­spra­chi­ge Ver­si­on ihres erfolg­rei­chen Buches Dan­ge­rous Liai­sons, Mar­ria­ges and Divor­ces of Mar­xism and Femi­nism erschienen.

Arruz­za gehört zu den Vertreter*innen einer zeit­ge­nös­si­schen mate­ria­lis­tisch-femi­nis­ti­schen Theo­rie. Den Dok­tor­ti­tel erlang­te Arruz­za 2005 an der Uni­ver­si­tät Tor Ver­ga­ta in Rom. Im Bereich Phi­lo­so­phie und Gesell­schafts­kri­tik tritt Arruz­za mit einem Schwer­punkt auf das Werk Pla­tons, einer aus­ge­präg­ten Per­spek­ti­ve auf Gene­se und Geschich­te des Mar­xis­mus sowie durch Über­set­zun­gen von Wer­ken u.a. von Sla­voj Žižek und Dani­el Ben­saïd her­vor. Dan­ge­rous Liai­sons liegt auf ita­lie­nisch, spa­nisch und por­tu­gie­sisch schon seit 2010, auf eng­lisch seit 2013 vor.

 

Alte Pro­ble­me …

Um das Feld des mate­ria­lis­ti­schen Femi­nis­mus gibt es eine seit vie­len Jah­ren anhal­ten­de Dis­kus­si­on, die aus sehr ver­schie­de­nen Rich­tun­gen geführt wird. Etwa von Nan­cy Fra­ser, die das mate­ri­el­le Pro­blem von unglei­cher Ver­tei­lung als kom­ple­men­tä­re Dimen­si­on des Pro­blems von unglei­cher Aner­ken­nung inter­pre­tiert,[1] oder von Sil­via Kon­tos, die trotz einer radi­ka­len Kri­tik am „fröh­li­chen Eta­tis­mus“ vie­ler Frau­en­be­we­gungs­in­itia­ti­ven, die „das tra­di­tio­nel­le Geschlech­ter­ver­hält­nis weit­ge­hend intakt las­sen“ für eine Fort­füh­rung von plu­ra­len, nor­ma­ti­ven und juris­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen im Rah­men moder­ner Staa­ten plä­diert[2], um nur zwei Blick­win­kel aus einer brei­ten und schwer zu ord­nen­den Dis­kus­si­on anzuführen.

Arruz­zas Bei­trag unter­schei­det sich von sol­chen Posi­tio­nen dadurch, dass sie das Ver­bin­dungs­pro­blem von Mar­xis­mus und Femi­nis­mus – das tat­säch­lich evi­dent ist sowohl auf his­to­ri­scher[3] als auch logi­scher[4] Ebe­ne – nicht vor­schnell in eine Rich­tung auf­löst. Anders als für ande­re Autor*innen ist für Arruz­za weder der Nie­der­gang des Mar­xis­mus bereits ein voll­zo­ge­nes Fak­tum noch sei­ne vor­geb­li­che Unfä­hig­keit bewie­sen, theo­re­ti­sche Fra­gen rund um die Aus­beu­tung und Unter­drü­ckung von Frau­en* zu beant­wor­ten, wie viel­fach argu­men­tiert wird. Es könn­te gesagt wer­den, Arruz­za gehört zu den weni­gen, die die Fra­ge nach einer Ver­bin­dung von Mar­xis­mus und Femi­nis­mus wirk­lich als Fra­ge bzw. als theo­re­ti­sche Her­aus­for­de­rung stel­len. Arruz­za selbst nimmt zurecht in Anspruch, ihre Dar­stel­lung fol­ge zumin­dest „einer Logik und Ein­tei­lung, die in der femi­nis­ti­schen Dis­kus­si­on nicht all­ge­mein gebräuch­lich sind, son­dern sich an einem unge­lös­ten, aber umso dring­li­che­ren poli­ti­schen Pro­blem ori­en­tie­ren“ (129).

Eine sol­che Fra­ge­stel­lung schreckt dabei zunächst zwei Arten von Lese­pu­bli­kum ab: Ers­tens die­je­ni­gen, die ohne Fra­ge von der Ver­ein­bar­keit von Mar­xis­mus und Femi­nis­mus über­zeugt sind. Die­sem Publi­kum wird wenig gefal­len, wenn Arruz­za an die vie­len sys­te­ma­ti­schen Pro­ble­me die­ser bei­den poli­ti­schen Bewe­gun­gen erin­nert – etwa dar­an, „dass in der Ers­ten Inter­na­tio­na­le [der, in der Karl Marx aktiv war] den Frau­en die Teil­nah­me ver­wehrt war“ (52). Oder dar­an, dass auch für die Pari­ser Com­mu­ne „nie zur Debat­te [stand], das Wahl­recht auf die Frau­en aus­zu­deh­nen“ (53). Von der Wei­ge­rung der euro­päi­schen kom­mu­nis­ti­schen Par­tei­en, Kam­pa­gnen für ein Frau­en­wahl­recht zu unter­stüt­zen, ihrem Kon­ser­va­tis­mus sowie natür­lich dem Nie­der­gang einer eman­zi­pa­to­ri­schen Frau­en*-, Geschlech­ter- und Sexua­li­täts­po­li­tik in der Sowjet­uni­on nach der unmit­tel­bar revo­lu­tio­nä­ren Peri­ode gar nicht erst zu reden. Arruz­za fin­det immer wie­der Bei­spie­le, die schmer­zen: Die viel­fa­chen Rück­zie­her der CGT (vgl. 62) genau­so wie den Mas­ku­li­nis­mus der US-ame­ri­ka­ni­schen Stu­die­ren­den- und Black-Power-Bewe­gun­gen (vgl. 67) und vie­le weitere.

Die vie­len Nega­tiv­bei­spie­le mögen zunächst ent­mu­ti­gen, doch Arruz­za kommt das unzwei­fel­haf­te Ver­dienst zu, gera­de damit einen wich­ti­gen Nerv zu tref­fen. In die­sem Buch wird ange­spro­chen, was nicht funk­tio­niert zwi­schen Femi­nis­mus und Mar­xis­mus. Und erst an die­sen Bruch­stel­len ist es mög­lich, zu mehr pro­gram­ma­ti­scher Klar­heit zu gelangen.

Zwei­tens gibt Arruz­zas his­to­ri­scher Über­blick aber auch den­je­ni­gen zu den­ken, die umge­kehrt die Theo­rien des tra­di­tio­nel­len Mar­xis­mus als alt­ba­cken und durch­weg anti­fe­mi­nis­tisch anse­hen. Es ver­steht sich nach einem Blick in die Geschich­te von selbst, dass Arbeits­kampf, Anti­ka­pi­ta­lis­mus und Femi­nis­mus irgend­wie zusam­men­hän­gen. Wie genau die­ser Zusam­men­hang aber gedacht wer­den kann, und wie nicht, das zeigt sich wie­der­um gera­de erst an den Bruch­stel­len, die Arruz­za her­aus­ar­bei­tet. Die his­to­ri­sche und prak­ti­sche Ver­bun­den­heit von femi­nis­ti­schen Bewe­gun­gen und anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Bewe­gun­gen, so zeigt es Arruz­za, sind jeden­falls nicht zu leug­nen. Ein­zig begrif­fen wer­den müss­ten sie – und Arruz­za gibt sich alle Mühe, die­ses Begrei­fen vom Kopf auf die Füße zu stellen.

 

… und neue Lösungen

Die zwei­te Hälf­te des Buches beschäf­tigt sich mit einem sys­te­ma­ti­schen Über­blick über die ver­schie­de­nen Ent­wür­fen, wie die Bezie­hun­gen zwi­schen Geschlecht und Klas­se, bes­ser: Femi­nis­mus (der doch mehr ist als eine Theo­rie der Geschlecht­lich­keit) und Mar­xis­mus (der doch mehr ist als eine Theo­rie der Klas­sen) zu erklä­ren sind. Arruz­za schafft es, die wort­rei­chen Theo­rie­ge­bäu­de ohne Ver­zer­run­gen aufs Wesent­lichs­te zusammenzuschrumpfen.

Arruz­za spart nicht an der Kri­tik und ver­steht es auch in die­sem Abschnitt, gera­de auf die Pro­ble­me der jewei­li­gen Theo­rien auf­merk­sam zu machen. Simo­ne de Beau­voirs Dik­tum, zur Frau wer­de ein Mensch erst gemacht, wird ein­drucks­voll als Abwand­lung der letzt­end­lich bio­lo­gis­ti­schen Argu­men­ta­ti­on um Clau­de Lévi-Strauss rekon­stru­iert: Men­schen, die schwan­ger sein könn­ten, sei­en dadurch schon immer geschwächt und damit anfäl­lig, nicht als voll­wer­ti­ges Sub­jekt son­dern als Tausch­ob­jekt behan­delt zu werden.

Der Tausch von gebär­fä­hi­gen Men­schen als rudi­men­tä­re aber doch bis heu­te als ‚wert-vol­le‘ und qua­si uner­setz­bar erach­te­te ‚Ware‘ ist die­ser Sicht­wei­se nach der ent­schei­den­de boos­ter am Beginn der Akku­mu­la­ti­on: Kein ande­rer Raub, sei es an Land oder Res­sour­cen, habe so viel Gewinn abge­wor­fen wie die Tren­nung der Frau­en* von der Ver­fü­gungs­ge­walt über ihre Repro­duk­ti­ons­fä­hig­kei­ten. Erst so ent­steht schein­bar der Über­schuss, der eine Abspal­tung von Gesell­schaft und Kul­tur von den unmit­tel­ba­ren Naturzwän­gen mög­lich machte.

Für Lévi-Strauss stell­te sich die Fra­ge nach dem genau­en Ablauf die­ser Zwi­schen­schrit­te nicht wirk­lich. Für ihn genüg­te der Hin­weis, die Ent­ste­hung von Gesell­schaft und Kul­tur sei an sich prin­zi­pi­ell mit einer Abspal­tung, Abwer­tung und Gering­schät­zung von Frau­en* ver­bun­den. Inso­fern stimmt es zwar, dass die ein­zel­ne, indi­vi­du­el­le Frau* im Sin­ne von Beau­voir erst durch die Gesell­schaft abge­wer­tet wür­de, die­ser Mecha­nis­mus jedoch müss­te seit dem Anbe­ginn jeder Geschich­te bestehen und liegt damit letzt­end­lich wie­der in der ‚Natur der Frau­en‘ begrün­det (vgl. 78).

Ganz im Gegen­satz zu die­ser Natu­ra­li­sie­rung, die sich in einem Teil der femi­nis­ti­schen Theo­rien bis heu­te stil­bil­dend erhal­ten hat, steht etwa die Theo­rie Fried­rich Engels’, der die Ent­ste­hung der Vor­herr­schaft der Män­ner nicht aus der Natur, son­dern zusam­men mit der Ent­ste­hung der Klas­sen­ge­sell­schaft erklä­ren will. Das Pri­vat­ei­gen­tum des Klas­sen­mo­dells stün­de Engels zufol­ge stets in Kon­kur­renz zum Eigen­tum im Sin­ne einer Stam­mes­ge­sell­schaft. Die Nähe von Müt­tern* und Kin­dern sei damit aber gera­de kei­ne Schwä­che, viel­mehr wären Stam­mes­ge­sell­schaf­ten ten­den­zi­ell nicht patri­ar­chal, son­dern matri­ar­chal struk­tu­riert (vgl. 79).

Das Pri­vat­ei­gen­tum, das sich Auf­grund der grö­ße­ren Wett­be­werbs­fä­hig­keit und Fle­xi­bi­li­tät neu­er Pro­duk­ti­ons­wei­sen durch­ge­setzt hat, muss­te sich somit eher auf patri­ar­cha­le Model­le stüt­zen, weil sich das matri­ar­cha­le Modell am Stam­mes­ei­gen­tum ori­en­tier­te. Erst dadurch habe der sich aus­bil­den­de Kapi­ta­lis­mus sys­te­ma­tisch ein Inter­es­se dar­an vor­ge­bracht, das Pri­vat­ei­gen­tum eben nicht an eine Stam­mes­li­nie, son­dern an ein Indi­vi­du­um, sprich einen männ­li­chen Erben zu über­ge­ben, um die Fle­xi­bi­li­tät zu ver­grö­ßern, die das Kapi­tal für sei­ne Schü­be der Expan­si­on und Kon­k­trak­ti­on benötigt.

Doch auch mit die­ser Theo­rie bestehen erheb­li­che Pro­ble­me, die Arruz­za nicht unter­schlägt. Vor allem die tat­säch­li­che Exis­tenz eines Matri­ar­chats in der Geschich­te sei nicht bewie­sen (vgl. 81). Aber auch ganz gene­rell zeigt Arruz­za die ver­schie­de­nen Sack­gas­sen einer sol­chen eth­no­lo­gi­schen und anthro­po­lo­gi­schen For­schungs­ein­stel­lung auf. Statt­des­sen for­dert Arruz­za ein „Ver­ständ­nis für die Wech­sel­wir­kun­gen“ (87) von Unter­drü­ckun­gen anstel­le der Suche nach einer am Ende auf­trump­fen­den Erklä­rung ein.

Wie aber kann so eine Auf­fas­sung von Wech­sel­wir­kun­gen aus­se­hen, ohne in einer Belie­big­keit zu ver­schwim­men? Vor die­ser wich­ti­gen Fra­ge, wie sich also ver­schie­de­ne Unter­drü­ckungs­sys­te­me als Tei­le eines zusam­men­hän­gen­den Gan­zen sehen las­sen, steht die Gesell­schafts­theo­rie. Die Annah­me einer gro­ßen Eman­zi­pa­ti­on schlicht durch Teil­nah­me am Lohn­ar­beits­sys­tem ohne Beach­tung der lang­fris­ti­gen gat­tungs­ge­schicht­li­chen, ideo­lo­gi­schen und psy­cho­lo­gi­schen Fol­gen der Geschich­te des Patri­ar­chats ist auch für Arruz­za sicher eine Illu­si­on zu bezeich­nen (vgl. 89). Aber damit ist noch kein Urteil dar­über gespro­chen, in wel­cher Wei­se die Kämp­fe tat­säch­lich anzu­ord­nen wären.

 

Mate­ria­lis­mus ohne Richtung

Arruz­za selbst scheint – zumin­dest in der deutsch­pra­chi­gen Aus­ga­be, in der die Hin­wei­se etwa auf Ver­su­che, Klas­se zu dekon­stru­ie­ren, feh­len – eine eher klas­sisch mar­xis­ti­sche Posi­ti­on zu ver­tre­ten: [D]as Patri­ar­chat [hat sich] als Orga­ni­sa­ti­ons­form eines Teils der Pro­duk­ti­on seit gerau­mer Zeit über­lebt und das, was davon übrig geblie­ben ist, ist im Kapi­ta­lis­mus in den Hin­ter­grund getre­ten“ (130). Arruz­za lehnt die Vor­stel­lung ab, dass die Wider­stands­for­men gegen das Patri­ar­chat über Klas­sen­gren­zen hin­weg „trans­ver­sal“ ein­heit­lich sein könn­ten (98). Zumin­dest in der unmit­tel­ba­ren Gegen­wart stellt also das Unter­drü­ckungs­sys­tem des Kapi­ta­lis­mus den struk­tu­rie­ren­den Anteil des Gesamt­sys­tems dar. Arruz­za schließt das aus ihrer Rekon­struk­ti­on der letz­ten gro­ßen Debat­ten des mate­ria­lis­ti­schen Femi­nis­mus aus den 1970ern.

Zu die­ser Zeit gab es meh­re­re Ver­su­che, das fal­sche Dog­ma zu über­prü­fen, nur die männ­li­che Fabrik­ar­beit pro­du­zie­re Mehr­wer­te für die Gesell­schaft, folg­lich sei die­se vor allem durch Streiks in die­sem Bereich ver­wund­bar. Ver­schie­de­ne Arbei­ten haben jüngst wie­der dar­an erin­nert, wie glück­los die­se Debat­te geführt wor­den ist. Oft scheint der unmit­tel­ba­re und kurz­fris­ti­gen rhe­to­ri­sche Zuge­winn – etwa, wenn Haus­ar­beit als pro­duk­tiv bzw. Frau­en* als essen­ti­el­ler Teil der Arbeiter*innenklasse erklärt wer­den – im Vor­der­grund zu ste­hen und eine tat­säch­li­che theo­re­ti­sche Auf­fas­sung die­ser Fra­gen in den Hin­ter­grund zu drän­gen.[5] Auch der Befund, dass die his­to­ri­sche Haus­ar­beits­de­bat­te nach ca. einem Jahr­zehnt ergeb­nis- und fol­gen­los abge­bro­chen ist, weist dar­auf hin, dass hier grund­le­gen­de Pro­ble­me der Theo­rie­bil­dung nicht gelöst wer­den konn­ten.[6]

Arruz­za macht dar­über hin­aus auf ein wei­te­res Pro­blem auf­merk­sam: Nicht nur wur­de die Dis­kus­si­on abge­bro­chen, sie hat auch zu Teils dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­ten Ergeb­nis­sen geführt (vgl. 92ff.). Der vor­lie­gen­de Ein­füh­rungs­band kann die­se Pro­ble­me natür­lich nicht alle lösen, und trägt an weni­gen Stel­len sogar zu wei­te­rer Ver­wir­rung bei. So steht in dem Band z. B. zu lesent: „Unbe­streit­bar trägt die Repro­duk­ti­ons­ar­beit indi­rekt zur Wert­stei­ge­rung der Waren bei“ (94). Das Pro­blem der Wert­stei­ge­rung wird natür­lich nicht gelöst son­dern nur ver­schlei­ert, wenn es in die Voka­bel der indi­rek­ten Wert­stei­ge­rung ver­scho­ben wird. Ob Arbei­ten­de in einer Fabrik den Wert von sons­ti­gen Arbeits­mit­teln durch ihre Zutat wirk­lich stei­gern oder gera­de nicht und was die Kon­se­quen­zen aus einer sol­chen Sicht­wei­se sind, ist Gegen­stand von weit­läu­fi­gen Debat­ten, deren Ende noch lan­ge nicht in Sicht ist.

Letzt­end­lich dechif­friert Arruz­za aber den Bruch zwi­schen mate­ria­lis­ti­schen und ope­rais­ti­schen Theo­rien – anhand der Fra­ge, ob Frau­en* Teil der Arbei­ter­klas­se oder Teil einer patri­ar­chal unter­drück­ten Klas­se sind – äußerst ele­gant: Bei­de Ana­ly­sen wür­den sich glei­cher­ma­ßen dar­um bemü­hen, Geschlecht in der ein oder ande­ren Wei­se als Klas­se zu defi­nie­ren. Mate­ria­lis­ti­sche Theo­rie ist nun aber ja sehr viel mehr als nur eine Klas­sen- oder Aus­beu­tungs­ana­ly­se, son­dern eine Auf­fas­sung über die Dyna­mik von Ver­ge­sell­schaf­tungs­wei­sen ins­ge­samt. Es bleibt also eine offe­ne Auf­ga­be, femi­nis­ti­sche Theo­rie nicht an Klas­sen­theo­rie, son­dern an die Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie gene­rell anzu­schlie­ßen (vgl. 99).

Aus die­sem Grund weist der Ein­füh­rungs­band am Ende auch die Meh­re­be­nen-Ansät­ze etwa von Hart­mann und Fra­ser zurück. Nur der Anspruch, zu einer ein­heit­li­che­ren Theo­rie „für ein gemein­sa­mes Sys­tem“ zurück­zu­kom­men, kann am Ende die not­wen­di­gen Ver­än­de­run­gen im tech­ni­schen Voka­bu­lar sowohl im Mate­ria­lis­mus als auch in der femi­nis­ti­schen Theo­rie errei­chen (124).

 

Ein neu­er Anlauf

Bemer­kens­wert ist vor die­sem Hin­ter­grund die Publi­ka­ti­on des Ban­des in der Rei­he des neu­en ISP Ver­lags, die zu eini­gen Limi­ta­tio­nen führt. So kommt das dün­ne Buch ohne jeg­li­che Fuß­no­ten, Zita­tio­nen und ohne ein sys­te­ma­ti­sches Lite­ra­tur­ver­zeich­nis aus. Sogar der Index der Autor*innen, der noch in der eng­li­schen Fas­sung ent­hal­ten war, muss­te wei­chen.[7] Das ver­wun­dert, zumal Arruz­za eine Viel­zahl von unter­schied­li­chen Posi­tio­nen auf kleins­tem Raum zusam­men­fasst. Dafür ist eine Lese­lis­te mit aus­ge­wähl­ten Schlüs­sel­tex­ten enthalten.

Die Wahl des Ver­lags dürf­te trotz alle­dem dem The­ma äußert ange­mes­sen sein, tritt ISP doch in der durch­öko­no­mi­sier­ten Publi­ka­ti­ons­land­schaft durch ein schar­fes poli­ti­sches Pro­fil in Erschei­nung. Der Schwer­punkt liegt dabei auf Publi­ka­tio­nen rund um die poli­ti­sche und wis­sen­schaft­li­che Tra­di­ti­on, die sich von Leo Trotz­ki über Ernest Man­del, Jakob Mone­ta und ande­re bis heu­te erstreckt und lan­ge ein Nischen­da­sein fristete.

Tat­säch­lich gehö­ren heu­te aber in Euro­pa gera­de expli­zit trotz­kis­ti­sche Zusam­men­hän­ge zu den­je­ni­gen, die am lau­tes­ten für gera­de die The­men strei­ten, die in den Debat­ten um Haus‑, Repro­duk­ti­ons- und Sor­ge­ar­bei­ten eine zen­tra­le Rol­le spie­len.[8] 2017 hat sogar die ein­gangs erwähn­te Nan­cy Fra­ser der trotz­kis­ti­schen Platt­form left­voice ein Inter­view gege­ben.[9] Das Erschei­nen von dezi­dier­ten mate­ria­lis­ti­schen Theo­riepubli­ka­tio­nen quer zu den ein­ge­fah­re­nen Schie­nen von alter Klas­sen­rhe­to­rik, ‚anti­deut­scher‘ rei­ner Kri­tik, pop­kul­tu­rel­len Zugän­gen aus Ver­le­gen­heit und Femi­nis­mus als ver­meint­li­ches Spe­zi­al­the­ma der ‚Hohen Theo­rie‘ im Suhr­kamp­dis­kurs oder im poli­to­lo­gi­schen klein-klein lässt daher wie­der hoffen.

 

von Flo­ri­an Geisler

 

  1. Nan­cy Fraser/Axel Hon­neth 2003, Umver­tei­lung oder Aner­ken­nung, Frank­furt am Main: Suhr­kamp
  2. Sil­via Kon­tos 2004, Brü­che – Auf­brü­che – Ein­brü­che. Die Frau­en­be­we­gung und ihre Vor­ga­ben für eine kri­ti­sche Gesell­schafts­theo­rie, in: Joa­chim Beerhorst/Alex Demirović/Michael Gug­ge­mos (Hrsg.) 2004, Kri­ti­sche Theo­rie im gesell­schaft­li­chen Struk­tur­wan­del, 427–452, 433f., 459
  3. Vgl. hier­zu etwa die Bei­trä­ge von Bini Adamc­zak über die Zusam­men­hän­ge von pro­le­ta­ri­scher und Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, in: ders. 2017, Bezie­hungs­wei­se Revo­lu­ti­on — 1917, 1968 und kom­men­de, Frank­furt am Main: Suhr­kamp
  4. Vgl. hier­zu etwa die Haus­ar­beits­de­bat­te über die Fra­ge nach dem wert­schöp­fen­den Cha­rak­ter von Haus­ar­beit, die auch im Anschluss ver­han­delt wird, aktu­ell z. B. Sil­via Fede­ri­ci 2015, Die Repro­duk­ti­on der Arbeits­kraft im glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus und die unvoll­ende­te femi­nis­ti­sche Revo­lu­ti­on, in: Bini Adamczak/Mike Laufenberg/Felicita Reuschling/Sarah Speck/Chris Ted­ja­suk­ma­na (Hrsg.) 2015, Auf­stand aus der Küche. Die Repro­duk­ti­on der Arbeits­kraft im glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus und die unvoll­ende­te femi­nis­ti­sche Revo­lu­ti­on, Müns­ter: edi­ti­on assem­bla­ge, 21–86
  5. Vgl. Cari­na Klug­bau­er 2016, And who Cares for Marx? An Actua­liz­a­ti­on of Mar­xist Femi­nism, in: Adria­na Zaharijevic/Igor Cvejic/Mark Loson­cz (Hrsg.) 2016: Thin­king bey­ond Capi­ta­lism, Bel­grad: Uni­ver­si­ty of Belgrade/Conferentia, 65–87
  6. Vgl. Ste­phan Pau­lus 2013, Haus­ar­beits­de­bat­te Revi­si­ted. Zur Arbeits­wert­theo­rie von Haus- und Re-pro­duk­ti­ons­ar­beit. Tech­ni­sche Uni­ver­si­tät Ham­burg Arbeits­pa­pier, online unter: https://doi.org/10.15480/882.1106, 13
  7. Cin­zia Arruz­za 2013: Dan­ge­rous Liai­sons. The mar­ria­ges and divor­ces of Mar­xism and Femi­nism, Pon­ty­po­ol: Mer­lin Press/IIRE/Resistancebooks
  8. Sie­he etwa die neu­en Streik­for­ma­te an der Cha­ri­té oder den Ber­li­ner Uni­ver­si­tä­ten, beson­ders aber die Streik­be­we­gung in Frank­reich der letz­ten Jah­re.
  9. Mitt­ler­wei­le auf deutsch unter www.klassegegenklasse.org/nancy-fraser-es-ist-moeglich-einen-radikalen-feminismus-mit-klarem-profil-aufzubauen/

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