„Abteilung Spartakus“ – Eine Konfliktgeschichte der Frankfurter Schule

Stu­art Jef­fries’ Grand Hotel Abyss war vor Erscheinen der Über­set­zung ein schlechter Ruf voraus­geeilt: Wirk­lich nur eine reine Samm­lung von Anek­doten ohne recht­en Mehrw­ert? Im Nach­hinein betra­chtet vielle­icht ein unbe­wusster Präven­tivschlag gegen Jef­fries, der sich in seinem vielle­icht nicht rev­o­lu­tionären, aber gut recher­chierten Werk vor allem dafür inter­essiert, ger­ade die unan­genehmen Wahrheit­en und die vie­len Eck­en, Kan­ten und Intri­gen der Frank­furter Schule herauszuarbeiten. 

Wenn es sich bei dem 500 Seit­en starken Band um eine Ein­führung in die Kri­tis­che The­o­rie han­deln kann, dann insofern, als dass es der Autor schafft, den dick­en mys­tis­chen Schleier herun­terzureißen, in den sich ihre Anhänger bis heute hin und wieder ein­hüllen, und die The­o­rien so zu zeigen, wie sie waren: Als lit­er­arische und philosophis­che Prax­is, als manch­mal hil­flose Schrift­stellerei und als wohlge­mein­ten Ver­such, die poli­tis­che Kul­tur pos­i­tiv zu bee­in­flussen. Mit anderen Worten: Jef­fries zeigt, was in der Frank­furter Schule alles nicht funk­tion­iert hat, und hebt sich allein damit schon angenehm von der über­wälti­gen­den Mehrheit der poli­tis­chen Kul­tur der Aktu­al­itäts-Beweis­er ab (was die Rezen­sio­nen durchgängig nicht davon abhält, das Buch gegen jede Evi­denz als großen Beweis der Aktu­al­ität der alten Frank­furter darzustellen – bis auf ein paar verunglück­te Vor­wort-Floskeln find­et sich zum Glück nicht der ger­ing­ste Ver­such, die the­o­retis­chen Frag­mente auf Aktuelles zu beziehen). 

Jef­fries begin­nt mit ein­er nüchter­nen Einord­nung der Frank­furter The­o­retik­er in ihr Herkun­ftsm­i­lieu: Fast aus­nahm­s­los kom­men sie aus wohlhaben­den Unternehmer­fam­i­lien, “kom­fort­ablen Wel­ten” (28), eben­so kann kaum ein­er eine ereignis­re­iche Emanzi­pa­tion­ser­fahrung gegen die Eltern vor­weisen. Ein­prägsam etwa die scho­nungslose Darstel­lung des jun­gen W. Ben­jamin, der, in völ­liger Abhängigkeit, schein­bar unfähig noch zum Kochen des eige­nen Kaf­fees, Frau und Kind zurück­lässt und mit ein­er anderen Frau durch Ital­ien reist, ohne Geld und ständig auf der Suche nach etwas Wahrem, qua­si als tragis­che Vor­weg­nahme der Beatniks.

Ben­jamin ent­ging der Ein­beru­fung in den Weltkrieg, anders als Her­bert Mar­cuse, der sich 1918 radikalisierte und in Berlin einem Sol­daten­rat anschloss. Jef­fries arbeit­et gut die poli­tis­che Ahnungslosigkeit der Zeit her­aus: Während der Rest des sich langsam formieren­den Insti­tuts für Sozial­forschung sich ohne­hin in größt­möglich­er Dis­tanz zum Geschehen bewegt tritt Mar­cuse der SPD bei – zu ein­er Zeit, als bere­its ein link­er Flügel von der Partei sich abspal­tete: “Jahre später wurde er gefragt, warum er sich nicht wie seine marx­is­tis­chen Genossen Georg Lukács und Karl Korsch der Kom­mu­nis­tis­chen Partei angeschlossen habe. »Ich weiß es ein­fach nicht«, sagte er in einem Inter­view aus dem Jahr 1972.” (xx)

Jef­fries Buch ist reich an solchen Geschicht­en, die viel mehr bedeuten als bloße Anek­doten zu sein. Im besten kri­tis­chen Sinne ver­mit­telt das Buch nicht nur reine The­o­rien, son­dern auch die poli­tis­chen und sozialen Umstände der Zeit. Jef­fries scheut es dabei nicht, unnachgiebig an fest­ge­fahre­nen Erzäh­lun­gen zu rüt­teln. Er wen­det sich etwa gegen die Verk­lärung Hen­ryk Gross­man­ns, der heute sozusagen als Urbild des Dog­matik­ers gehan­delt wird: “[Es ist] mehr als bedauer­lich”, schreibt Jef­fries, “dass Gross­man­ns Analyse belächelt wurde, weil sie ange­blich den automa­tis­chen Zusam­men­bruch des Kap­i­tal­is­mus voraus­sagte. … Das ist ein beson­deres ungerechter Vor­wurf aus­gerech­net gegen einen Denker der Frank­furter Schule, der im Unter­schied zu seinen im Lehn­stuhl philoso­phieren­den Kol­le­gen aktiv am sozial­is­tis­chen Kampf mit­gewirkt hat­te” (113).

Beson­ders viel Aufmerk­samkeit liegt auf der kon­flikhaften Zeit der Emi­granten in den USA. Selb­st mit dem mit­ge­bracht­en Ver­mö­gen war es keine Selb­stver­ständlichkeit, dass jedem geholfen wer­den kon­nte. Der äußere Druck zur Kon­for­mität war hoch, Adorno wurde gar vom Dozen­ten wieder zum Stu­den­ten. Auch die Mitar­beit der Frank­furter in amerikanis­chen Geheim­di­en­sten kommt aus­führlich zur Sprache. Span­nend auch vor allem Jef­fries’ Rekon­struk­tion der Dis­sent-Debat­te, die Erich Fromm und Her­bert Mar­cuse später über einen Stre­it um den richti­gen Weg sex­ueller Befreiung in der gle­ich­nami­gen Zeitschrift die Fre­und­schaft kostete. Wiederum nicht ohne aus­führliche Hin­weise und O‑Töne darüber, wie kalt, bürg­er­lich und dis­tanziert es im Hause Mar­cuse zuge­gan­gen sei: Osha Neu­mann, der Sohn von Mar­cus­es zweit­er Part­ner­in, berichtet von dessen Seit­en­sprün­gen und des famil­iären Krisen­man­age­ments, das darin bestand, Schweigen über die Prob­leme auszubre­it­en: »Soweit er einen sex­uellen, gen­i­tal­en Trieb hat­te, ver­barg er ihn«, wird Neu­mann zitiert. “Neu­mann traute dem Ruf des Philosophen als einem Propheten sex­ueller Befreiung nicht so recht” (372).

Osha Neu­mann wurde schließlich Teil der Hap­pen­ing-Protest­gruppe »Up Against the Wall Moth­er­fuck­ers« mit einem Selb­stver­ständ­nis ein­er “street gang with analy­sis” (373), während Mar­cuse großen Ein­fluss auf die Aktivistin Angela Davis hat­te. Und noch eine erhel­lende Episode: Ein Tre­f­fen von Mar­cuse mit dem für Frankre­ich so prä­gen­den Sartre ver­lief ergeb­nis­los – Sartre hat­te sich schlicht nicht im ger­ing­sten vor­bere­it­et, und empf­ing Mar­cuse ahnungs­los über dessen gesamte Arbeit (386).

1969 beset­zten Studierende kurzzeit­ig das Frank­furter Insti­tut und benan­nten es um in “Abteilung Spar­takus” – benan­nt nach der Bewe­gung, die 50 Jahre zuvor von der SPD ver­rat­en wor­den war. Dass zur Räu­mung der Sit­u­a­tion die Polizei hinzuge­zo­gen ward, sorgte für Ver­stim­mung auch zwis­chen Adorno und Mar­cuse, der viel ger­adlin­iger mit den Ini­tia­tiv­en sym­pa­thisierte – und bere­its sein­er­seits schon längst wieder von Studieren­den unter Druck geset­zt wurde.

Jef­fries erzählt auch eine aus­ge­wo­gene Geschichte über Jür­gen Haber­mas und darüber, wie er dieser erste Gen­er­a­tion der kri­tis­chen The­o­rie beerbt hat. Jedem, der auch heute noch an der roman­tis­chen Verk­lärung fes­thält, Adorno und Horkheimer wären Helden der Kri­tik gewe­sen, Haber­mas dage­gen hätte schlicht aus Ahnungslosigkeit oder Bosheit den reinen Wein sein­er Vorgänger ver­wässert, wird hof­fentlich ein nuanciert­eres Nar­ra­tiv eingeschenkt. Hoff­nung erwächst auch daraus nicht unmittelbar: 

“Gegen­wär­tig brauch jed­er, der die Kri­tis­che The­o­rie wieder­beleben will, eine gehörige Por­tion Ironie. Zu den Ver­lier­ern im Kap­i­tal­is­mus gehören Mil­lio­nen über­ar­beit­eter, unter­bezahlter Arbeit­er, die pub­likum­swirk­sam von der größten sozial­is­tis­chen Rev­o­lu­tion der Men­schheits­geschichte (in Chi­na) befre­it wur­den und an den Rand des Selb­st­mords getrieben wer­den, damit die drüben im West­en mit ihren iPads spie­len kön­nen. Das Pro­le­tari­at denkt gar nicht daran, den Kap­i­tal­is­mus zu begraben; im Gegen­teil […]. Vielle­icht gibt es in Lebens­mit­tel­lä­den in Low­er Man­hat­tan nach wie vor ein Überange­bot an Thy­mos. In anderen Teilen der Welt wird er hinge­gen schmer­zlich ver­misst” (463).

Vielle­icht kann eine mate­ri­al­is­tis­che Kri­tik der Gesellschaft sich heute nicht schlicht aus der beschädigten Tra­di­tion der Frank­furter Schule her­aus entwick­eln, son­dern muss sie als eine bes­timmte Phase oder Moment begreifen ler­nen, dessen Anfang und Ende ben­nen­bar sind, nicht nur an Per­so­n­en, son­dern auch an Inhal­ten, Struk­turen und Funk­tio­nen ihres poli­tis­chen Denkens. Diese Frage geht über Jeffries’s Werk hin­aus, aber er bere­it­et einen sehr guten Boden dafür, mit dieser Arbeit anz­u­fan­gen, wo sie nicht schon längst im Gange ist.

Stu­art Jef­fries | Grand Hotel Abgrund | 2019 | Klett-Cot­ta | 28€

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.