Was ist das gemeinsame Bezugsproblem der politischen Linken?

Poli­tisch „links ste­hen“ ist zual­ler­erst eine zutiefst bür­ger­li­che Posi­ti­on – und das ist etwas Gutes. 

 

  1. Das idea­lis­ti­sche Erbe der Linken

In der Geschich­te der mensch­li­chen Gat­tung hat die Imple­men­tie­rung bür­ger­li­cher Klas­sen­ver­hält­nis­se eine Stei­ge­rung der Pro­duk­ti­on von Gütern mit sich gebracht, die ein gutes Leben für rest­los alle Men­schen in den Bereich des Mög­li­chen gerückt hat – zumin­dest sind kei­ne ande­ren Gesell­schafts­for­ma­tio­nen bekannt, die je mit der­art viel Auf­wand von sich selbst behaup­tet haben, tat­säch­lich für das Wohl Aller ein­ste­hen zu wol­len. Die­se teil­wei­se mit viel Brim­bo­ri­um prak­ti­zier­te Selbst­ver­ge­wis­se­rung blieb und bleibt natür­lich zuvor­derst den­je­ni­gen Per­so­nen über­las­sen, die dafür Zeit und Muße mit­brin­gen konn­ten, sprich den­je­ni­gen, denen die­se Ver­hält­nis­se so und so bereits am meis­ten ein­brach­ten. Und so besteht auch bis heu­te das Inven­tar der wich­tigs­ten lin­ken Schriftsteller*innen, Theoretiker*innen und Politiker*innen zum aller­größ­ten Teil aus Bei­trä­gen, die nicht aus im enge­ren Sin­ne adli­gen oder pro­le­ta­ri­schen Schich­ten stam­men, son­dern aus der bür­ger­li­chen Klas­se, die die arbeits­tei­li­ge und akku­mu­lie­ren­de Pro­duk­ti­ons­wei­se am direk­tes­ten verkörpern.

Die aller­meis­ten der soge­nann­ten west­li­chen Wer­te, von Demo­kra­tie bis zu den Men­schen­rech­ten, von Frei­heit bis zur Gleich­heit, von der Brü­der­lich­keit bis zum huma­nis­ti­schen Sen­dungs­be­wusst­sein, ent­stam­men recht offen­sicht­lich die­ser bür­ger­li­chen Klas­sen­la­ge. Bei­spiels­wei­se die Maxi­me der Frei­heit ent­stammt der öko­no­mi­schen Über­le­gen­heit des ‘frei­en’ Han­dels und des ‘frei­en’ Arbeits­mark­tes, die Maxi­me der Gleich­heit ver­dankt sich der not­wen­di­gen Illu­si­on eines gerech­ten Tauschs von Arbeit gegen Lohn zwi­schen zwei glei­chen Ver­trags­part­nern. Das ist bekannt und gut erforscht. Weni­ger erforscht ist hin­ge­gen, wel­che Kon­se­quen­zen aus die­ser selt­sa­men Tren­nung zwi­schen den Sub­jek­ten und den Objek­ten der bür­ger­li­chen Ideo­lo­gie gezo­gen wer­den müss(t)en.

Die Geschich­te der Lin­ken lässt sich bei­na­he als Geschich­te der ver­schie­de­nen Ver­su­che schrei­ben, die bür­ger­li­chen Wer­te mit einer Mas­sen­ba­sis zu ver­mit­teln, sodass Frei­heit und Gleich­heit nicht für immer und ewig nur einer bestimm­ten pri­vi­le­gier­ten Schicht vor­be­hal­ten blei­ben. Wie die­se Ver­mitt­lung aller­dings aus­se­hen kann, war stets umstrit­ten. Kräf­te aus der frü­hen Pha­se der Arbeiter*innenbewegung hin­gen bei­spiels­wei­se immer wie­der an der Fra­ge, ob, und wenn ja wie sehr, sich eine Orga­ni­sa­ti­on aus pro­fes­sio­nel­len Vor­kämp­fern, die selbst oft­mals nicht dem Pro­le­ta­ri­at ent­stamm­ten, sich der Füh­rung der Bewe­gung anneh­men dür­fe. Das Umfeld der kri­ti­schen Theo­rie hin­ge­gen hat stets mehr oder min­der deut­lich die Ansicht ver­tre­ten, dass aus einer sozia­lis­ti­schen Per­spek­ti­ve allein, die die bür­ger­li­chen Wer­te schlicht und ergrei­fend negiert, kein Fort­schritt zu erwar­ten ist – und etwa Frei­heit und demo­kra­ti­sche  Men­schen­rech­te auf jeden Fall auch gegen ver­meint­li­che Revo­lu­tio­nä­re zu ver­tei­di­gen sei­en. Heu­te wie­der­um ist u. a. die Ansicht ver­brei­tet, ein Gra­ben zwi­schen Theo­rie und Pra­xis dür­fe über­haupt nicht zur Gel­tung kom­men, eine Per­spek­ti­ve auf Eman­zi­pa­ti­on müs­se immer auch die eige­ne Eman­zi­pa­ti­on mit mei­nen: Ein Begriff etwa der bür­ger­li­chen Frei­heit sei weit­ge­hend bedeu­tungs­los, was zählt, wäre die soli­da­ri­sche Lebens­wei­se jen­seits der bür­ger­li­chen Gesell­schaft bzw. in ihren Nischen.

Eine gute Idee wird nicht schlech­ter, wenn die ‘fal­sche’ Per­son sie denkt. Die Lin­ke muss sich des Zustan­des nicht schä­men, dass sie sich weit­ge­hend auf den mora­li­schen Maxi­men der bür­ger­li­chen Klas­sen aus­ruht, sie kann froh drü­ber sein. Wenn die Genera­tio­nen der Erfin­dung des moder­nen Uni­ver­sa­lis­mus schon prak­tisch nichts rich­tig gemacht haben – wel­ches gro­ße Mensch­heits­ver­bre­chen, das von den Kants und Rous­se­aus, der de Toque­vil­les und Webers schon ver­hin­dert oder auch nur gelin­dert wor­den wäre? – so doch theo­re­tisch: Die For­de­rung nach uni­ver­sa­len Rech­ten wie Unver­letz­lich­keit des Kör­pers durch ande­re, nach Rechts­staat­lich­keit und Abwe­sen­heit von Will­kür u.v.m. kön­nen bis heu­te als unüber­trof­fe­ne Stan­dards gel­ten – mit einem Haken: Sie gel­ten in der Pra­xis ganz und gar nicht universal.

Die Lin­ke fin­det sich heu­te letzt­end­lich in der­sel­ben Posi­ti­on wie vor hun­dert Jah­ren wie­der: sie will nicht der Geg­ner, son­dern der Voll­stre­cker der Welt der bür­ger­li­chen Moral sein. Sie will die Ver­spre­chen der bür­ger­li­chen Klas­sen nicht ent­lar­ven, son­dern einlösen.

Umso gefähr­li­cher, dass die­se Funk­ti­on der Lin­ken zuneh­mend unter Beschuss gerät: Die rech­te Offen­si­ve gegen alles, was in den letz­ten Jah­ren an klei­nen posi­ti­ven Signa­len zu ver­neh­men wahr, ist nicht nur ein unmit­tel­ba­rer Angriff auf tat­säch­lich ins Wan­ken gera­te­ner Pri­vi­le­gi­en und Lebens­mög­lich­kei­ten zu lesen. Im Gegen­teil ver­birgt sich hin­ter dem offe­nen Sexis­mus, dem Ras­sis­mus und dem Hass auf alles, was nicht der hete­ro­se­xu­el­len Norm ent­spricht, der sich über­all in der Welt wie­der mit der größ­ten Selbst­ver­ständ­lich­keit in den Regie­rungs­äm­tern befin­det, ein offe­ner Angriff auf die­se Idee des Uni­ver­sa­lis­mus: Die Idee an sich, dass ein gutes Leben für alle tat­säch­lich denk­bar, greif­bar, mach­bar und wün­schens­wert ist, wird wie­der ange­grif­fen. Es wird nicht län­ger gemurrt, dass bei der (ver­meint­li­chen) Imple­men­tie­rung des guten Lebens für alle am Ende der Geschich­te durch den Spät­ka­pi­ta­lis­mus hier und da eini­ge Feh­ler gemacht wer­den; es wird sich nicht mehr län­ger beschwert, dass Inte­gra­ti­on zu viel kos­te oder dass die Über­zie­hung der Pro­vinz­re­gio­nen der kapi­ta­lis­ti­schen Zen­tren mit den grund­le­gends­ten mensch­li­chen Ver­hal­tens­stan­dards die Urein­woh­ner­schaft vor unlös­ba­re Lern­auf­ga­ben stellt – nein, es geht der poli­ti­schen Rech­ten gera­de heu­te immer den kal­ku­lier­ten Bruch mit den Ver­spre­chen der Moder­ne an sich. Gutes Leben für alle sei nicht wün­schens­wert: Frau­en z. B. gehö­ren im Dis­kurs der Rech­ten nicht ins gute Leben, son­dern an den Herd, und ansons­ten sowie­so alle Men­schen angeb­lich am bes­ten in das Land, aus dem ihre Vor­fah­ren stam­men, gleich­gül­tig, ob es ihnen dort gut geht oder nicht.

Wel­chen Namen trägt also die­ses bür­ger­li­che Ver­spre­chen? „Uni­ver­sa­lis­mus“ trifft es nicht wirk­lich. Es geht schließ­lich nicht um eine uni­ver­sa­le Gel­tung in dem Sin­ne, wie ein mathe­ma­ti­scher Satz uni­ver­sal gel­ten kann, son­dern um die Bewe­gung, die die uni­ver­sa­len Sät­ze in der Wirk­lich­keit gel­tend macht. Im Gegen­teil liegt statt­des­sen der McCar­thy­sche Reflex, alles, was irgend­wie auf eine uni­ver­sa­le und eman­zi­pa­to­ri­sche Per­spek­ti­ve zielt, als „kom­mu­nis­tisch“ zu bezeich­nen, hier schon ganz rich­tig. Die moder­ne, uni­ver­sa­lis­ti­sche Gesell­schaft zielt dem Namen nach auf: den Kommunismus.

„Die Bour­geoi­sie stellt sich die Welt, wor­in sie herrscht, natür­lich als die bes­te Welt vor.“ [1] – Der Marx und der Engels aus dem Mani­fest der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei wären wohl vor Wut explo­diert, hät­te man ihrer Visi­on unter­stellt, sie sei selbst eine bür­ger­li­che. Sie lösen das Dilem­ma, intui­tiv gegen die Bour­geoi­sie aber gleich­zei­tig für eine Aus­brei­tung ihres Wer­te­sys­tems ein­ste­hen zu müs­sen, durch aller­lei Tricks. Zuerst ist da das uto­pi­sche Bil­der­ver­bot: Wie die bes­se­re Gesell­schaft aus­zu­se­hen habe, sei sowie­so noch nicht abseh­bar, und ob sie der bür­ger­li­chen Welt irgend­wie ähnelt, kön­ne des­we­gen auch nicht Gegen­stand der Dis­kus­si­on sein. Zwei­tens gehört dazu die bra­chia­le Zumu­tung an das Den­ken, wel­che der dia­lek­ti­sche Hokus­po­kus dar­stellt: Die neue Welt sei natür­lich immer nur aus den Brü­chen, Gegen­sät­zen und Wider­sprü­chen der alten Welt zu ent­wi­ckeln, nichts sei ein­fach so zu behal­ten. Es ist bemer­kens­wert, wie Marx so früh schon die geis­ti­ge Ver­fas­sung der Dekon­struk­ti­on vor­weg­ge­nom­men hat: Radi­ka­le Ver­un­si­che­rung, Desta­bi­li­sie­rung des Den­kens, die Hoff­nung auf krea­ti­ve Erneue­rung, wenn man nur lan­ge genug auf das Alte draufhaut.

„Sie wol­len die Bour­geoi­sie ohne das Pro­le­ta­ri­at“, machen sich Marx und Engels über den so benann­ten kon­ser­va­ti­ven Sozia­lis­mus lus­tig, der sich nicht sofort auf die For­mung eines neu­en Men­schen durch die Revo­lu­ti­on stür­zen will. Und sie haben Recht, in gewis­ser Wei­se: Nie­mand kann sich ernst­lich ein kon­ser­va­ti­ves Bild von Fami­lie, Kul­tur, Nati­on und Sexua­li­tät wün­schen. Aber ihr dia­lek­ti­sches Den­ken ent­larvt sich gleich­zei­tig immer dort als hilf­lo­ser Fim­mel, wo gera­de ihre heu­ti­gen Nach­fol­ger die Gegen­sät­ze des bür­ger­li­chen Welt­bil­des, das in Bewah­rens­wer­tes und Umzu­sto­ßen­des zer­fällt, nicht wahr­ha­ben wol­len, um lie­ber das gesam­te bür­ger­li­che Den­ken mit einem Satz ins Unge­wis­se über Bord werfen.

 

  1. Das phi­lo­so­phi­sche Erbe der Linken

Das Pro­blem ent­steht, weil der Marx des Mani­fests die phi­lo­so­phi­sche Denk­wei­se sei­ner Vor­den­ker nicht abge­streift hat. Das Mani­fest ist schließ­lich vor allen Din­gen eine Zusam­men­fas­sung der Schrif­ten über die Deut­sche Ideo­lo­gie, Die Hei­li­ge Fami­lie und Das Elend der Phi­lo­so­phie, wel­che als Kri­ti­ken oder Pole­mi­ken gegen den Idea­lis­mus und den bür­ger­li­chen Sozia­lis­mus kon­zi­piert waren. Als sol­che begin­nen sie aber nicht mit einer Fra­ge, son­dern mit Ant­wor­ten. Sie gehen prin­zi­pi­ell schon von einem Gegen­satz von idea­lis­ti­schem und mate­ria­lis­ti­schen Den­ken aus, sie sind von der Über­le­gen­heit des Neu­en schon überzeugt.

Man kann es den bei­den nicht ver­übeln. Die Rea­li­tät der deut­schen Zustän­de in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts las­sen kaum eine ande­re Ein­stel­lung zu. Aber was bedeu­tet es für die Lin­ke heu­te? Was ist zu tun, wenn die Pro­le­ta­ri­er heu­te sub­jek­tiv und wohl auch objek­tiv sehr viel mehr zu ver­lie­ren haben, als nur ihre Ket­ten, wie Marx und Engels einst mein­ten? Was tun, wenn der Gegen­satz zwi­schen Rea­li­tät und Gedan­ken zwar immer noch evi­dent, aber nicht mehr der­art ein­fach greif­bar ist? Kann sich die Lin­ke wirk­lich erlau­ben, mit der glei­chen Hybris eine Über­le­gen­heit ihrer mate­ria­lis­ti­schen Metho­de zu behaup­ten, wenn sie in der Pra­xis gleich­zei­tig immer not­ge­drun­ge­ner ganz und gar nicht radi­kal revo­lu­tio­när wirkt, son­dern viel­mehr ihr revo­lu­tio­nä­rer Gehalt evi­den­ter­ma­ßen als Kor­rek­tiv oder Beschleu­ni­ger in einen ansons­ten sta­bi­len, demo­kra­tisch-markt­wirt­schaft­lich ver­mit­tel­ten, all­zu lang­sa­men Reform­pro­zess ein­ge­bet­tet ist?

Die Ant­wort könn­te lau­ten, sich nicht von der depri­mie­ren­den Welt­la­ge beir­ren zu las­sen, und das Pro­blem (das „Was tun?“) selbst zum Kern der Über­le­gun­gen zu erhe­ben. Was wir tun kön­nen, ist die Fra­ge nach den Hand­lungs­op­tio­nen in die­ser Welt­la­ge sel­ber zum Gegen­stand der Unter­su­chung zu machen. Statt abs­trakt und bedeu­tungs­schwer die Idee des Kom­mu­nis­mus neu aus­zu­brei­ten, könn­te es unser Anlie­gen sein, ganz kon­kret den Weg zum guten Leben ohne Kom­pro­mis­se zum Haupt­pro­blem der Lin­ken zu machen. Das gemein­sa­me Bezugs­pro­blem der Lin­ken ist ein prak­ti­sches, das aller­dings gewal­ti­ge theo­re­ti­sche Ansprü­che stellt.

Sich inso­fern nicht wei­ter ver­un­si­chern las­sen heißt dann auch, mit dem manch­mal vagen phi­lo­so­phi­schen Erbe des frü­hen Marx auf­zu­räu­men, das uns kei­ne fes­te Sicher­heit mehr bie­tet. Es bedeu­tet, sich nicht auf die Spitz­fin­dig­kei­ten á la Sla­voj Zizek ein­zu­las­sen, der da meint, es sei leich­ter, sich das Ende der Welt als das Ende des Kapi­ta­lis­mus vor­zu­stel­len. Ist das denn wirk­lich so? Oder ist das nur die depres­si­ve Pro­jek­ti­on einer Lin­ken, die die kon­kre­ten Fra­gen aus dem Blick ver­lo­ren hat? Mög­li­cher­wei­se haben wir es ja gar nicht ver­lernt, uns eine bes­se­re Welt vor­zu­stel­len. Im Gegen­teil haben wir nur ver­ges­sen, dass die­se Vor­stel­lung allein noch kei­ne Fol­gen nach sich zie­hen muss. Der blo­ße Wunsch, alle Ver­hält­nis­se umzu­wer­fen, in denen der Mensch ein geknech­te­tes Wesen ist, ist kein Gegen­stand der Lin­ken. Er ist ihr Ziel, ihre Maxi­me – das ja, aber nicht ihr Mittel.

Der Mar­xis­mus nützt uns daher nicht als Phi­lo­so­phie der Hoff­nung, son­dern als eine Wis­sen­schaft zu genau die­sem Zweck. Die Rol­le des Mate­ria­lis­mus ist, der kon­kre­ten poli­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on mit einem Rat über die mög­li­che Reich­wei­te ver­schie­de­ner Hand­lungs­we­ge zur Sei­te zu stehen.

Mit die­ser Ein­stel­lung im Hin­ter­kopf wird deut­lich, wie weit das, was sich gegen­wär­tig mate­ria­lis­ti­sche Theo­rie schimpft (den Autor selbst ein­ge­schlos­sen), sich schon von die­ser Auf­ga­be ent­fernt hat. Die mäch­tigs­te his­to­ri­sche Ant­wort, näm­lich die von Lenin, hilft uns allein nicht wei­ter: Sei­ne Dar­stel­lung der Rol­le und der Mög­lich­kei­ten von Poli­tik in der moder­nen, spät­ka­pi­ta­lis­ti­schen Kon­fi­gu­ra­ti­on bleibt an wich­ti­gen Punk­ten Phi­lo­so­phie statt Wis­sen­schaft: Allein aus der Kri­tik dar­an, dass ein alter deut­scher Mann namens Hegel die Sto­ry von der Ent­wick­lung der Staat­lich­keit der Gesell­schaft als im uner­bitt­li­chen Welt­geist zusam­men­hän­gen­de, posi­ti­ve Ent­wick­lung erzählt hat, geht nicht her­vor, dass das Gegen­teil der Fall ist, und es sich unwei­ger­lich um eine Ent­wick­lung zum Schlech­ten han­delt. Allei­ne der Grund, dass es einen Hegel gibt, berech­tigt nicht, ihn vom Kopf auf die Füße zu stel­len, wie es schon bei Marx so schön sinn­be­freit heißt.

Dabei bestand das Pro­blem nie dar­in, ob die­se Figur des Umdre­hens, der Umstül­pung oder wie auch immer sie gedacht wur­de, tat­säch­lich funk­tio­niert oder nicht, und auch nicht in der phi­lo­lo­gi­schen Fra­ge, was Marx wirk­lich ein­mal mit die­ser For­mu­lie­rung gemeint haben könn­te. Nein, das Pro­blem besteht auch heu­te viel­mehr dar­in, dass sich die Lin­ke über­haupt auf die­se phi­lo­so­phi­schen Taschen­spie­ler­tricks ein­lässt. Lin­ke Theo­rie hät­te so viel mehr zu bie­ten als die viel­fach gewälz­ten Slo­gans vom revo­lu­tio­nä­ren Anti­ka­pi­ta­lis­mus. Klar, wo die­se erfolg­reich zur Bil­dung von effek­ti­ven Grup­pen die­nen, ohne ins Reak­tio­nä­re abzu­glei­ten, sei­en sie jeder und jedem gegönnt. Aber in Zei­ten, wo lin­ke Posi­tio­nen weni­ger und weni­ger Leu­te über­zeu­gen wäre es eine Über­le­gung wert, ob das nicht dar­an liegt, dass die meis­ten Leu­te die­se phi­lo­so­phi­schen Phra­sen durch­schau­en und als leer erkennen.

Das ist für die Lin­ke nichts Neu­es – die Her­aus­for­de­rung, den Men­schen die sozia­len Phä­no­me­ne nicht nur über­zeu­gen­der zu erklä­ren, als es die Fein­de der Moder­ne taten, son­dern dabei auch noch tat­säch­lich objek­tiv recht zu haben, hat die Lin­ke immer beglei­tet. Anstatt wei­ter die Rol­le der ewig ver­lie­ren­den Ner­ven­sä­ge zu spie­len, die alles bes­ser weiß (obwohl sie nichts schlüs­sig erklä­ren kann) und allen ins Gewis­sen redet, um die kul­tu­rel­len Mehr­heits­po­si­tio­nen zu ver­schie­ben (was ja tat­säch­lich einer gera­de­zu reli­giö­sen Pra­xis ent­spricht), stün­de es der Lin­ken gut, die Pro­ble­me, die ihren Dis­kurs struk­tu­rie­ren, offen aus­zu­buch­sta­bie­ren. Das hie­ße, nicht um Reform oder Revo­lu­ti­on zu strei­ten, son­dern klar zu krie­gen, wo und war­um die Welt vor die­ser Alter­na­ti­ve steht – und ob über­haupt. Die Welt bie­tet genü­gend Gele­gen­heit dazu.

[1] Karl Marx, Fried­rich Engels [1848] (2003), Das Mani­fest der kom­mu­nis­ti­schen Par­tei, Ber­lin: Dietz, 64

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