Althusser – Die Reproduktion des Materialismus

Die poli­ti­sche Phi­lo­so­phie des Mar­xis­mus hat das wider­sprüch­li­che Erbe Lou­is Althussers immer noch nicht ver­kraf­tet. Althus­ser ver­ein­te in sei­nem Gesamt­werk min­des­tens zwei ein­an­der dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­te Posi­tio­nen: Sei­ne stren­ge Marx‑Exegese im Zei­chen von radi­ka­lem Anti‑Humanismus, Den­ken der Deter­mi­na­ti­on und unver­söhn­li­cher Nicht‑Philosophie einer­seits; ande­rer­seits sei­ne unwahr­schein­li­chen Anstren­gun­gen zur Neu­for­mu­lie­rung eines aleato­ri­schen Mate­ria­lis­mus, der den moder­nen Anfor­de­run­gen nach dem Den­ken der Kon­tin­genz und dem huma­nis­ti­schen Eman­zi­pa­ti­ons­po­ten­zi­al in einer ver­meint­lich nicht mehr logo­zen­tri­schen Welt gerecht wird. Für vie­le Inter­pre­ten gal­ten Früh‑ und Spät­werk Althussers daher lan­ge als unver­ein­bar. Die Her­aus­ge­ber ver­tre­ten nun die The­se, dass „der ‚spä­te‘ und der ‚revo­lu­tio­nä­re‘ Althus­ser inte­gral mit­ein­an­der ver­bun­den sind“ (7). Der 2015 auf Fran­zö­sisch neu aus­ge­ge­be­ne Text von Althus­ser „Über die Kul­tur­re­vo­lu­ti­on“ steht dem Band in neu­er Über­set­zung vor­an. Dar­in wirft Althus­ser die Fra­ge nach der Not­wen­dig­keit einer sepa­ra­ten Orga­ni­sa­ti­on neben Par­tei und Gewerk­schaft auf, die für die „drit­te Revo­lu­ti­on“ (42) des ideo­lo­gi­schen Appa­rats einer Gesell­schaft zustän­dig sein soll, in der die öko­no­mi­sche und poli­ti­sche Umwäl­zung bereits statt­fin­det. Althus­ser argu­men­tiert, dass der Klas­sen­cha­rak­ter der Ideo­lo­gie fort­be­steht, auch nach­dem die öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Sys­te­me des Kapi­ta­lis­mus weit­ge­hend gestürzt wor­den sind. Die bür­ger­li­che Ideo­lo­gie birgt daher die Gefahr, die Revo­lu­ti­on in die Regres­si­on zu stür­zen, sofern sie nicht prä­emp­tiv gekon­tert wird. Die wei­te­ren Bei­trä­ge zeich­nen die Ent­wick­lung die­ses Hin­wei­ses im Kon­trast vor allem zu Etién­ne Bali­bar und Nicos Pou­lant­z­as nach. Dabei ver­schwimmt aller­dings unwei­ger­lich das Spe­zi­fi­sche an Althussers Ideo­lo­gie­theo­rie. Was bedeu­tet es zum Bei­spiel kon­kret, wenn laut der Rekon­struk­ti­on von Jörg Nowak „der Mar­xis­mus in den Bereich des Ideo­lo­gi­schen ein­tre­ten muss“ (206), wo Althus­ser doch ande­rer­seits gera­de für eine strik­te Tren­nung von Ideo­lo­gie und Wis­sen­schaft steht? Die­se prak­ti­schen Fra­gen ver­schwin­den lei­der weit­ge­hend hin­ter der her­me­neu­ti­schen Exege­se. Die kla­ren Ver­su­che etwa von Mar­ta Harne­cker und Alex­an­der Gal­las, die poli­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen Althussers dar­zu­stel­len, ste­hen unver­mit­telt neben dunk­len The­sen, Dia­lo­gen, Spe­ku­la­tio­nen. Es bleibt frag­lich, was der eins­ti­ge Gegen­satz von Leni­nis­mus und Mao­is­mus zu der heu­ti­gen Situa­ti­on noch zu sagen hat und ob ein erneu­ter Anlauf zur Syn­the­se die­ser bei­den Sei­ten zu einem „Kon­junk­tu­rel­len Mar­xis­mus“ (164) am Ende nicht mehr Ver­wir­rung als Klar­heit stiftet.
Ekrem Ekici/Jörg Nowak/Frieder Otto Wolf 2016 (Hrsg.): Althus­ser – Die Repro­duk­ti­on des Mate­ria­lis­mus. Müns­ter: West­fä­li­sches Dampfboot.

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