Ergebnisse der Diskussion um das Papier »Der kommende Aufprall«

Mit­hil­fe des Stu­die­ren­den­ma­ga­zins Dis­kus wur­den kürz­lich von der Anti­fa Kri­tik & Klas­sen­kampf (AKK) aus Frank­furt am Main eini­ge Dis­kus­si­ons­bei­trä­ge zu ihrem Auf­satz und Orga­ni­sa­ti­ons­vor­schlag ››Der kom­men­de Auf­prall‹‹ herausgegeben.

Rück­blick – Orga­ni­sa­ti­on in und nach der Krise

Der ursprüng­li­che Auf­satz der AKK[1] hat eini­ge Beach­tung erlangt, weil er mit einer Neu­auf­la­ge der Begrif­fe Klas­se, Klas­sen­kampf und Klas­sen­be­wusst­sein ein kaum geschätz­tes Voka­bu­lar in eine Schie­ne links­ra­di­ka­ler Dis­kus­si­on hin­ein­trug, die sich lan­ge durch eine demons­tra­ti­ve Distanz zu den damit ver­knüpf­ten Grup­pen defi­nier­te. Die­ser Auf­satz stand 2015 noch recht unmit­tel­bar unter dem Ein­druck der glo­ba­len Unru­hen auf den Finanz­märk­ten. Oft als eine gro­ße Kri­se des Kapi­ta­lis­mus ver­klärt, lie­ßen die Ver­än­de­run­gen 2007–2017 vie­le dar­auf hof­fen, eine veri­ta­ble Kon­fron­ta­ti­on der Akku­mu­la­ti­on mit ihren eige­nen Gren­zen stün­de bevor. Die Erwar­tung eines kom­men­den Auf­pralls der Lohn- und Ver­tei­lungs­sys­te­me leg­te es damals nahe, dass gesell­schaft­li­che Kämp­fe erneut rela­tiv unmit­tel­bar von Klas­sen­wi­der­sprü­chen gezeich­net sein wür­den. Ein Wie­der­auf­le­ben des Klas­sen­be­griffs erschien dadurch not­wen­dig und gerechtfertigt.

Aller­spä­tes­tens 2018 ist jedoch die Dring­lich­keit der Finanz­kri­se und der Kri­sen­pro­tes­te unver­kenn­bar ver­ebbt. Die weit­ge­hen­de Ent­eig­nung von zuvor ver­brief­ten Leis­tungs­an­sprü­chen etwa in Grie­chen­land ist heu­te kein Gegen­stand der Debat­te mehr, son­dern ein bereits geschaf­fe­ner Fakt. Die Hoff­nung, etwa der Euro­päi­schen Uni­on oder dem vor­herr­schen­den west­li­chen Kon­sens zur Welt­ord­nung wür­de im Zuge sol­cher Gewalt­ak­te ganz ein­fach sowohl das Ver­trau­en als auch das Geld aus­ge­hen, sind vom Tisch.[2] Bereits der G20 Gip­fel in Ham­burg 2017 stand schon wie­der deut­lich eher im Zei­chen einer Kri­tik an glo­bal krieg­füh­ren­den und (neu-)imperialistischen Mäch­ten als im Zei­chen eines auch lokal geführ­ten Klassenkampfs.

Auch die Idee, gro­ße Bevöl­ke­rungs­tei­le wären dem­nächst zu mobi­li­sie­ren, um dem herr­schen­den Arran­ge­ment reprä­sen­ta­ti­ver Demo­kra­tie + Kapi­ta­lis­mus auf­grund der eige­nen Betrof­fen­heit durch Kür­zun­gen in der Kri­se die Loya­li­tät auf­zu­kün­di­gen, geriet dadurch wie­der in Bedräng­nis.[3] Auch der Aus­gang der Bun­des­tags­wahl 2017 hat hier ein ein­deu­ti­ges Signal gesetzt. All das gibt uns Gele­gen­heit und Anlass, dar­über nach­zu­den­ken, ob und wie sich ver­schie­de­ne gesell­schaft­li­che Wider­sprü­che auch ohne den äuße­ren Druck einer aku­ten Finanz­kri­se als struk­tu­rier­tes Gan­zes ana­ly­sie­ren las­sen. Die Fra­ge lau­tet: Wie kann die radi­ka­le Lin­ke nach der Kri­se ein Zusam­men­füh­ren ver­schie­de­ner Kämp­fe prak­tisch bewerk­stel­li­gen und theo­re­tisch begründen?

Die Her­aus­for­de­rung – Klas­sen- vs. Gesellschaftstheorie

Eine sol­che Pro­blem­stel­lung steht zunächst vor dem Phä­no­men, dass moder­ne Gesell­schaf­ten sich durch Demo­kra­ti­sie­rungs­pro­zes­se den Anspruch geben haben, prin­zi­pi­ell unbe­grenzt reform­fä­hig zu sein. Gene­rell hat die Kon­zen­trie­rung poli­ti­scher und öko­no­mi­scher Macht dafür gesorgt, dass Inter­es­sen­kon­flik­te an den Gren­zen von Natio­nal­staa­ten, an Klas­sen­gren­zen und an den Gren­zen geschlecht­li­cher Arbeits­tei­lung nur um so här­ter aus­ge­tra­gen wur­den. Pseu­do-Demo­kra­ti­sie­rung und inne­rer pseu­do-Befrie­dung wur­de durch eine noch sys­te­ma­ti­sche­re Aus­gren­zung im Innern und nach Außen erkauft. Beson­ders Frau­en* waren in Euro­pa lan­ge ganz offen über­haupt vom Demos aus­ge­schlos­sen, genau­so wie nicht-wei­ße Men­schen. Auch Grund­rech­te haben das ‚Pro­blem‘, dass sie de fac­to weder für alle gel­ten noch allen glei­cher­ma­ßen von Nut­zen sein kön­nen. De jure jedoch obliegt die Fra­ge, wie das Leben aus­ge­stal­tet sein soll­te, demo­kra­ti­schen und rechts­staat­li­chen Prin­zi­pi­en – ein Arran­ge­ment, das fak­tisch die aller­größ­te Mehr­heit der Bevöl­ke­rung ideo­lo­gisch einbindet.

Als eine beson­ders gute Erklä­rung für den par­ti­ku­la­ren Cha­rak­ter der ver­meint­lich uni­ver­sa­len Fort­schrit­te sind mar­xis­ti­sche Theo­rien bekannt gewor­den. Die­se haben auf­ge­zeigt, dass die Fort­schrit­te, mit denen die Her­aus­bil­dung der moder­nen Welt sich recht­fer­tig­te, gar nicht das Pro­dukt einer frei­en und auf­klä­re­ri­schen, gar revo­lu­tio­nä­ren Bewe­gung sei­en. Viel­mehr habe sich im Lau­fe der Zeit die Fähig­keit und die Art und Wei­se der Gesell­schaf­ten geän­dert, Gebrauchs­wer­te her­zu­stel­len. Die­se Ände­run­gen hät­ten dann wie­der­um Kon­se­quen­zen für die Lebens­wirk­lich­keit der Men­schen gehabt: Der „freie Lohn­ar­bei­ter“ sei nicht frei, weil das für ihn net­ter ist, son­dern weil er auf die­se Wei­se bil­li­ger, fle­xi­bler, mobi­ler, ver­wund­ba­rer, form­ba­rer etc. ist. Demo­kra­ti­sie­rung pas­sie­re nicht, weil sie irgend­wie gerecht wäre, son­dern weil sie beson­ders gut Krea­ti­vi­tät und Legi­ti­mi­tät abschöpft und unzeit­ge­mä­ße Eigen­tums­for­men beson­ders leicht verflüssigt.

In die­ser mar­xis­ti­schen Sicht­wei­se war es daher kein Wun­der, dass Staa­ten als radi­kal unre­for­mier­bar gal­ten. Zwar gebe es Refor­men, die­se trab­ten aber den Anfor­de­run­gen der Akku­mu­la­ti­on höchs­tens hin­ter­her. Soll­te die­se ein­mal ins Sto­cken gera­ten, oder erneut ihre Anfor­de­run­gen ändern, sei es sehr schnell aus mit der Fort­schritt­lich­keit. Nach Marx gehör­te Wla­di­mir Lenin zu den­je­ni­gen, die die­se radi­ka­le Pfad­ab­hän­gig­keit der Ent­wick­lung von Gesell­schaf­ten logisch und auch empi­risch zu zei­gen ver­such­ten.[4] Sei­ne Ergeb­nis­se brach­ten ihn zu sei­ner Zeit zu der Schluss­fol­ge­rung, der demo­kra­tisch-kapi­ta­lis­ti­sche Staat müs­se auf jeden Fall zer­schla­gen wer­den, bevor es mit dem guten Leben für alle etwas wer­den kann. Es war ganz zen­tral die­ser Über­gang von einer Kri­tik des Kapi­tals zu einer Theo­rie der Gesell­schaft, die den his­to­ri­schen Gehalt und Erfolg des Mar­xis­mus mit aus­ge­macht hat. Bewusst oder nicht, struk­tu­rie­ren die­se Schluss­fol­ge­run­gen bis heu­te unge­prüft gro­ße Tei­le des Dis­kur­ses um Klas­sen­kampf und Revolution.

Hier liegt ein wich­ti­ger Teil des Pro­blems. Staa­ten ver­wei­sen heu­te selbst­be­wusst auf die teils gro­ßen sozia­len Refor­men, die wäh­rend ihres Bestehens erreicht wor­den sind, und wischen damit die The­se von der Unre­for­mier­bar­keit weg, die im Hin­ter­grund die gesam­te Auf­fas­sung von radi­ka­ler Kri­tik zusam­men­hält. Die radi­ka­le Lin­ke steht dadurch vor einem Dilem­ma: Wie kann sie an das Erbe und den teil­wei­sen Erfolg einer Kri­tik von „Staat, Nati­on und Kapi­tal“ anknüp­fen und gleich­zei­tig die Fort­schrit­te der bür­ger­li­chen Gesell­schaft ange­mes­sen kri­tisch würdigen?

Die viel dis­ku­tier­te Ant­wort der AKK lau­te­te: Klas­sen­be­wusst­sein. Die Kri­se sor­ge von selbst dafür, dass alle sowie­so schon ver­wund­ba­ren Sta­tus­grup­pen wei­ter pre­ka­ri­siert wür­den. Es käme daher dar­auf an, die­ses Fak­tum all den von der Kri­se betrof­fe­nen Sub­jek­ten klar­zu­ma­chen. Ganz unfrei­wil­lig rückt die AKK so in die Posi­ti­on, ins­ge­heim immer schon Bescheid wis­sen zu müs­sen: Vom Kapi­ta­lis­mus führt der Weg zur Kri­se, von der Kri­se zur Pre­ka­ri­sie­rung und von der zum Klas­sen­be­wusst­sein. Das Kapi­tal als der gro­ße Gleich­ma­cher sorgt dafür, dass die Inter­es­sen aller benach­tei­lig­ten Sub­jek­te spä­tes­tens in der Kri­se die glei­chen sind: Klas­sen­kampf und Revolution.

Öko­no­mie, Kul­tur und Sub­jekt – die Posi­ti­on der trans­lib[5]

Doch was, wenn die­se Gleich­för­mig­keit der Inter­es­sen der Sub­jek­te sich auch in Kri­sen­zei­ten ein­fach nicht zei­gen will? Was, wenn der Groß­teil der Sub­jek­te von der Kon­ver­genz der Inter­es­sen nicht nur nicht über­zeugt ist, son­dern sich einer sol­chen Ein­sicht gera­de­zu widersetzt?

Zu Recht weist auch der Bei­trag der Leip­zi­ger trans­lib im Heft die­sen Ein­heits­op­ti­mis­mus über den Klas­sen­be­griff metho­disch und ent­schie­den zurück: „Die peren­nie­ren­de Spal­tung zwi­schen kom­mu­nis­ti­scher und femi­nis­ti­scher Bewe­gung ist … bis auf wei­te­res eine not­wen­di­ge“, heißt es dar­in.[6] Die Unmög­lich­keit, nicht nur das Patri­ar­chat, son­dern auch etwa Fra­gen von Ras­sis­mus und Kolo­nia­lis­mus unter die Klas­sen­fra­ge zu sub­su­mie­ren (wodurch auch aus dem „hal­bier­ten Blick“ schnell ein ⅓- oder ¼‑Blick wird), ist auch unse­rer Auf­fas­sung nach unver­kenn­bar. Der Spalt wird sich unse­rer Ein­schät­zung nach zudem eher noch ver­grö­ßern, wenn die Fra­gen nach der Hier­ar­chie erst ein­mal mit Nach­druck umge­dreht wer­den, soll­te etwa der Kapi­ta­lis­mus ein­mal zur wenig bedeu­ten­den Son­der­form des Patri­ar­chats erklärt werden.

Der Bei­trag der trans­lib macht daher völ­lig zu Recht dar­auf auf­merk­sam, dass ein klas­sen­theo­re­ti­scher Ansatz, so wie er im Moment vor­liegt, für die gegen­wär­ti­ge Lage nicht aus­rei­chend anschluss­fä­hig ist: „Das ›Pro­blem‹ des Geschlech­ter­ver­hält­nis­ses ist … eines, das Män­ner und Frau­en ›nicht‹ auf Glei­che Wei­se tei­len“, heißt es dort.[7] In ihrem Nach­wort schreibt die AKK dar­auf etwas rat­los, sie ver­ste­he zwar die Kri­tik – gleich­zei­tig ver­mag sie von ihrem prin­zi­pi­el­len Ein­heits­pa­ra­dig­ma aber nicht abzu­rü­cken. So heißt es dann etwas fata­lis­tisch: „Wenn sie [die kom­mu­nis­ti­sche und die Frau­en­be­we­gung; FG] sich nicht mit­ein­an­der ver­bin­den, wer­den letzt­lich bei­de schei­tern“.[8]

Unser Ein­druck ist: Die­ser Fata­lis­mus muss nicht sein. Er hat sei­ne Wur­zel ohne­hin in einer Zeit, in der Poli­tik not­wen­di­ger­wei­se über sol­che Ges­ten funk­tio­nier­te. Viel ein­fa­cher, als sich um solch gro­ße Geschichts­mo­del­le zu ori­en­tie­ren, wäre es, die Fra­ge nach der tat­säch­li­chen Ver­bin­dung von poli­ti­schen Kämp­fen, etwa all­ge­mein von Femi­nis­mus und kom­mu­nis­ti­scher Bewe­gung, ein­mal ganz offen zu stel­len. Was ist denn, wor­in besteht denn die Ver­bin­dung der bei­den Sei­ten wirk­lich, von der wir ja eben­falls intui­tiv über­zeugt sind? Nach­dem vie­le Posi­tio­nen in der Debat­te ohne­hin in der aka­de­mi­schen Arbeit ver­wur­zelt sind, wäre es doch gelacht, wenn wir zu die­sen Fra­gen nicht mehr anzu­bie­ten hät­ten, als ein vages Auto­ri­täts­ar­gu­ment in Bezug auf Karl Marx?

Der „Orga­ni­sa­ti­ons­op­ti­mis­mus“[9] übri­gens, von dem die Freun­din­nen und Freun­de der klas­sen­lo­sen Gesell­schaft in ihrem Bei­trag spre­chen, erscheint uns ein recht kon­se­quen­ter Aus­druck der beschrie­be­nen theo­re­ti­schen Vor­ur­tei­le zu sein. Uns scheint: Das Ein­ge­ständ­nis, kei­ne genaue Vor­stel­lung davon zu haben, wel­che Gren­zen und Pfad­ab­hän­gi­gen auch in spät­ka­pi­ta­lis­ti­schen Staa­ten bestehen, bedeu­tet nicht, das Bestehen­de affir­mie­ren. Aller­dings steht ein sol­ches Ein­ge­ständ­nis durch­aus im Wider­spruch zu popu­lis­ti­schen Poli­tik­for­men, denen der genaue Inhalt sol­cher Slo­gans ten­den­zi­ell egal ist, solan­ge sie Publi­kum anzie­hen bzw. eben Klas­sen­be­wusst­sein för­dern.[10] Wäre es dem­ge­gen­über eine Mög­lich­keit, die Ver­bin­dung von Kämp­fen tat­säch­lich zu erfor­schen, und die­sen Pro­zess orga­ni­sie­ren und politisieren?

Damit kom­men wir jedoch auch zur Kehr­sei­te der Replik von der trans­lib. Es scheint uns fol­gen­des vor­zu­lie­gen: Die Posi­ti­on der AKK ver­engt das Theo­ri­en­an­ge­bot aus ver­schie­de­nen Grün­den auf einen recht engen Klas­sen­be­griff. Die trans­lib wie­der­um nimmt die­se Ver­en­gung recht unge­prüft beim Wort: „Auf der Stre­cke bleibt“, laut dem Bei­trag, „was sich mit dem begriff­li­chen Arse­nal der Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie nicht fas­sen lässt, was nicht ent­lang der Klas­sen­gren­zen ver­läuft und mög­li­cher­wei­se nicht mit den Mit­teln des Klas­sen­kamp­fes über­wun­den wer­den kann“.[11]

Nun könn­te aber doch durch­aus behaup­tet wer­den, dass sich mit den Mit­teln der Kri­tik der poli­ti­schen Öko­no­mie eini­ges mehr fas­sen lässt, als Fra­gen ent­lang der Klas­sen­gren­zen und des Klas­sen­kamp­fes – wenn es denn ver­sucht wird. Die poli­ti­sche Öko­no­mie, die da kri­ti­siert wer­den soll, besteht ja nicht nur aus ein paar Sät­zen zu Grund­ren­te und Frei­han­del, son­dern aus einem umfas­sen­den Gebäu­de aus Auf­fas­sun­gen zu Staat, Demo­kra­tie und Gesell­schaft ganz gene­rell, die immer­hin einer gro­ßen Mehr­zahl der Men­schen durch­aus ein­gän­gig ist. Nicht nur Pro­le­ta­ri­er glau­ben ja an die Kräf­te des Sozi­al­staats, son­dern, wie die trans­lib fest­stellt, glau­ben durch­aus auch Frau­en* an die Erwei­te­rung des „Spielraum[s] für Frau­en in den west­li­chen Gesell­schaf­ten“.[12] Ohne andeu­ten zu wol­len, dass alle Gesell­schafts­fra­gen rest­los im Mar­xis­mus auf­ge­hen wür­den (sie tun es nicht), ist es doch zwei­fels­oh­ne so, dass die­ser weit mehr als nur einen Begriff von Klas­sen­po­li­tik anzu­bie­ten hat. Nicht umsonst ist doch gera­de das Feld um den mate­ria­lis­ti­sche Femi­nis­men in der Ver­gan­gen­heit mit­un­ter am pro­duk­tivs­ten für Fra­gen die­ser Art gewe­sen.[13] Wenn also über­haupt eine gute Auf­fas­sung von der Dyna­mik der Spiel­räu­me von moder­nen Staa­ten mög­lich ist, so wäre die­se doch sicher­lich in Umris­sen der Tra­di­ti­on des Mar­xis­mus zu entnehmen?

Die trans­lib ver­weist dem­ge­gen­über aller­dings eher auf Plu­ra­li­tät. Einer Öko­no­mie­kri­tik müs­se grund­sätz­lich zumin­dest eine Kul­tur­theo­rie und eine Theo­rie der Sub­jek­ti­vi­tät zur Sei­te ste­hen. Wäh­rend das grund­sätz­lich eine unzwei­fel­haft gute Idee zu sein scheint, kom­men wir doch nicht umhin, dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die­se Theo­rien ihrer Grund­sät­ze und Fra­ge­stel­lung nach sich oft gera­de nicht als Kor­re­lat, son­dern als Gegen­teil zu Fra­gen nach den prä­de­ter­mi­nier­ten Gren­zen sol­cher Spiel­räu­me ver­ste­hen. Die Pra­xis der Gesell­schaftskri­tik, egal ob sie nun nach Art Frank­fur­ter Kul­tur­kri­tik oder nach post­struk­tu­ra­lis­ti­scher Sub­jek­ti­vie­rungs­kri­tik erfolgt, lebt ja schein­bar lei­der gera­de davon, den Reform­pes­si­mis­mus der Radi­ka­len und Revo­lu­tio­nä­ren bei­sei­te zu schie­ben: ››Kann es kri­ti­siert wer­den, kann es auch ver­än­dert wer­den.‹‹ Kann eine kul­tur­kri­ti­sche Pra­xis das Pro­blem ver­mei­den, gera­de dort in die Rol­le eines ideel­len Sur­ro­gats zu rücken, wo mate­ri­el­le Ver­än­de­run­gen unmög­lich schei­nen, wenn etwa die Kri­tik von Aus­gren­zung das Pro­gramm einer Öff­nung fak­ti­scher Gren­zen ersetzt?

Wir tei­len die Ana­ly­se, dass die u.a. geschlecht­li­che, koloniale/imperiale, kor­po­rea­le Sub­jek­ti­vie­rung der Men­schen die „Bedürf­nis­struk­tur der Sub­jek­te und ihre psy­chi­schen Dis­po­si­tio­nen, den Umkreis ihrer erwor­be­nen Fähig­kei­ten und Bezie­hun­gen zur Welt und zu ihren Mit­men­schen ihr All­tags­le­ben und ihren kon­kre­ten Erfah­rungs­ho­ri­zont“ nicht nur prägt, son­dern eben: „deter­mi­niert“.[14] Auch hier bleibt aber das Pro­blem, dass sich der moder­ne Staat durch­aus den Anspruch gibt, dass die­ser Zusam­men­hang eben gera­de kein zwin­gen­der sei. Prin­zi­pi­ell will die Gesell­schaft in der Lage sein, jedem Sub­jekt ein umstands­lo­ses Aus­bre­chen aus der Lage nicht nur zu erlau­ben, son­dern posi­tiv zu ermög­li­chen. Unser Ein­druck ist, dass die radi­ka­le Lin­ke, trotz allen Ver­su­chen, der­zeit kei­ne metho­di­sche Ant­wort auf die­se Fra­ge hat, und sich des­we­gen zu Recht immer mehr Kri­tik an den patri­ar­cha­len kapi­ta­lis­ti­schen Staat wendet.

„Ent­schie­den kri­ti­siert wer­den muss auch die Auf­fas­sung, der Staat kön­ne in irgend­ei­ner Wei­se in ein Werk­zeug der pro­le­ta­ri­schen Revo­lu­ti­on ver­wan­delt wer­den“, schreibt die AKK zu die­ser Fra­ge am Ende ihres Nach­worts.[15] Das sehen wir, im Gro­ben, auch so. War­um ande­re das aber so sehen soll­ten, ist eine har­te Fra­ge, für die wir in der gegen­wär­ti­gen Lin­ken nur weni­ge Ant­wort aus­ma­chen kön­nen.[16] Die­ses Pro­blem wird aber nach unse­rem Dafür­hal­ten nicht nur durch Ver­net­zung gelöst, son­dern viel bes­ser durch eine Anstren­gung, eine neue trag­fä­hi­ge Ant­wort zu ent­wi­ckeln – auch wenn wir zuge­ben müs­sen, dass eine sol­che Ant­wort in wei­ter Fer­ne liegt. Ist es des­halb viel­leicht nicht doch ein über­zo­ge­ner Anspruch, poli­ti­sche Akti­on von einer theo­re­ti­schen Durch­drin­gung nicht nur der Rol­le des Staats, son­dern auch dem Zusam­men­hang von Geschlech­ter- und Klas­sen­kämp­fen abhän­gig zu machen? Wie könn­te eine sol­che Ant­wort eigent­lich aus­se­hen? Liegt die Lösung dem­zu­fol­ge viel­leicht über­haupt in einer Preis­ga­be der „Theo­rie mit gro­ßem T“? Wel­che posi­ti­ven Leit­sät­ze wären in der Lage, das radi­ka­le einer poli­ti­schen Orga­ni­sie­rung heu­te zu garantieren?

 

 

  1. Anti­fa Kri­tik & Klas­sen­kampf 2015, Der kom­men­de Auf­prall. Auf der Suche nach der Reiß­lei­ne in Zei­ten der Kri­se. Stra­te­gi­sche Über­le­gun­gen, Online unter http://akkffm.blogsport.de/2015/04/02/der-kommende-aufprall/
  2. Nur weni­ge Kom­men­ta­re glau­ben noch an eine gegen­wär­ti­ge End­kri­se des Kapi­ta­lis­mus, vgl. z. B. vgl. Wolf­gang Stre­eck 2017 [2016], How Will Capi­ta­lism End?, Lon­don: Ver­so, 47
  3. Vgl. z. B. das Kon­zept eines „Dis­si­den­ten Drit­tels“ Tho­mas Sei­bert 2015, Ers­te Noti­zen zum Plan A einer neu­en Lin­ken, online unter: Ers­te Noti­zen zum Plan A einer neu­en Lin­ken, online unter: https://www.solidarische-moderne.de/de/article/458.erste-notizen-zum-plan-a-einer-neuen-linken.html
  4. Wla­di­mir I. Lenin 1960, Impe­ria­lis­mus als höchs­tes Sta­di­um des Kapi­ta­lis­mus, in: ders., Wer­ke, Band 22, Ber­lin: Dietz, 189–309, 211.
  5. Wir geben den Arti­kel von Kat Lux, Johan­nes Hau­er und Mar­co Bona­vena hier der Ein­fach­heit hal­ber als „Posi­ti­on der trans­lib“ wie­der – soll­te das nicht in Ord­nung sein, lösen wir das ger­ne anders.
  6. Vgl. Kat Lux/Johannes Hauer/Marco Bona­vena 2017, Der hal­bier­te Blick. Gedan­ken zum Geschlech­ter­ver­hält­nis im Kom­men­den Auf­prall, in: Dis­kus Nr. 2/16, 55. Jg., 12–21, 16
  7. Vgl. Lux/Hauer/Bonavena, a.a.O., 14
  8. Vgl. Anti­fa Kri­tik & Klas­sen­kampf 2017, Nach­wort, in: Dis­kus Nr. 2/16, 55. Jg., 54–60, 54
  9. Freun­din­nen und Freun­de der Klas­sen­lo­sen Gesell­schaft 2017, Frag­men­ta­ri­sches zur Orga­ni­sa­ti­ons­fra­ge, in: Dis­kus Nr. 2/16, 55. Jg., 8–11, 9
  10. In die­sem Zei­chen stand unser Ver­such gegen die­sen Hori­zont des Popu­lis­mus zu inter­ve­nie­ren, vgl. Flo­ri­an Geisler/Alex Stru­we 2017, Der Hori­zont des Popu­lis­mus, in: Pha­se 2 Nr. 54xx
  11. Lux/Hauer/Bonavena, a.a.O., 12
  12. ebd., 16
  13. Wie den­ken hier bei­spiels­wei­se an die Stu­di­en zur geschlecht­li­chen ursprüng­li­chen Akku­mu­la­ti­on bei Clau­dia v. Werlhof/Maria Mies/Veronika Ben­n­holdt-Thom­sen 1988 [1983], Frau­en, die letz­te Kolo­nie. Zur Haus­fraui­sie­rung der Arbeit, Rein­bek: Rowohlt oder an grund­sätz­li­che Über­le­gun­gen zum Ver­hält­nis von Patri­ar­chat und Kapi­ta­lis­mus in der Geschich­te bei Sil­via Fede­ri­ci 2012 [engl. 2004], Cali­ban und die Hexe. Frau­en, der Kör­per und die ursprüng­li­che Akku­mu­la­ti­on, Wien: Man­del­baum; neben der von der trans­lib bereits erwähn­ten Frig­ga Haug lässt sich die Lis­te sehr schnell erwei­tern, etwa um Kat Lux’ Bei­trä­ge, etwa mit der zutref­fen­den Kri­tik der Form des „Zusam­men­den­kens“ in: Kat Lux 2011, Über­le­gun­gen zur Kri­tik der Gesell­schaft, in out­side the box. Zeit­schrift für femi­nis­ti­sche Gesell­schafts­kri­tik, 3/2011, Bogen 10, sind hier eben­so ein­schlä­gig – es scheint aber dar­auf anzu­kom­men, die­se nega­ti­ve Kri­tik des Zusam­menden­kens durch eine posi­ti­ve Auf­fas­sung dar­über zu erset­zen, wie den die Zusam­men­hän­ge tat­säch­lich beschaf­fen sind.
  14. Lux/Hauer/Bonavena, a.a.O., 14.
  15. Anti­fa Kri­tik & Klas­sen­kampf 2017, a.a.O., 59.
  16. Eine prag­ma­ti­sche Ant­wort wur­de z. B. von Lil­ly Frey­tag und Mina Kha­ni in einer Zeit­schrift unter dem Mot­to Klas­se gegen Klas­se vor­ge­legt, das der Bei­trag der trans­lib auch auf­greift: Dis­kri­mi­nie­ren­de Gewalt habe zwar Sys­tem, aber letzt­lich nicht unbe­dingt einen logi­schen letz­ten Grund des Zusam­men­halts (etwa eine Tota­li­tät etc.). Die Soli­da­ri­tät über Geschlechter‑, Klas­sen- und Natio­nal­staats­gren­zen hin­weg sei dem­nach schlicht des­we­gen wich­tig, weil sich die Angrif­fe die­se Gren­zen zunut­ze machen, was an sich Grund genug sei. Vgl. Lil­ly Freytag/Mina Kha­ni 2017, Die Ket­te der Gewalt zer­schla­gen, online unter: https://www.klassegegenklasse.org/die-kette-der-gewalt-zerschlagen/

von Flo­ri­an Geisler

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