Ergebnisse der Diskussion um das Papier »Der kommende Aufprall«

Mith­il­fe des Studieren­den­magazins Diskus wur­den kür­zlich von der Antifa Kri­tik & Klassenkampf (AKK) aus Frank­furt am Main einige Diskus­sions­beiträge zu ihrem Auf­satz und Organ­i­sa­tionsvorschlag ››Der kom­mende Auf­prall‹‹ herausgegeben.

Rück­blick – Organ­i­sa­tion in und nach der Krise

Der ursprüngliche Auf­satz der AKK[1] hat einige Beach­tung erlangt, weil er mit ein­er Neuau­flage der Begriffe Klasse, Klassenkampf und Klassen­be­wusst­sein ein kaum geschätztes Vok­ab­u­lar in eine Schiene linksradikaler Diskus­sion hinein­trug, die sich lange durch eine demon­stra­tive Dis­tanz zu den damit verknüpften Grup­pen definierte. Dieser Auf­satz stand 2015 noch recht unmit­tel­bar unter dem Ein­druck der glob­alen Unruhen auf den Finanzmärk­ten. Oft als eine große Krise des Kap­i­tal­is­mus verk­lärt, ließen die Verän­derun­gen 2007–2017 viele darauf hof­fen, eine ver­i­ta­ble Kon­fronta­tion der Akku­mu­la­tion mit ihren eige­nen Gren­zen stünde bevor. Die Erwartung eines kom­menden Auf­pralls der Lohn- und Verteilungssys­teme legte es damals nahe, dass gesellschaftliche Kämpfe erneut rel­a­tiv unmit­tel­bar von Klassen­wider­sprüchen geze­ich­net sein wür­den. Ein Wieder­au­fleben des Klassen­be­griffs erschien dadurch notwendig und gerechtfertigt.

Aller­spätestens 2018 ist jedoch die Dringlichkeit der Finanzkrise und der Krisen­proteste unverkennbar verebbt. Die weit­ge­hende Enteig­nung von zuvor ver­brieften Leis­tungsansprüchen etwa in Griechen­land ist heute kein Gegen­stand der Debat­te mehr, son­dern ein bere­its geschaf­fen­er Fakt. Die Hoff­nung, etwa der Europäis­chen Union oder dem vorherrschen­den west­lichen Kon­sens zur Wel­tord­nung würde im Zuge solch­er Gewal­tak­te ganz ein­fach sowohl das Ver­trauen als auch das Geld aus­ge­hen, sind vom Tisch.[2] Bere­its der G20 Gipfel in Ham­burg 2017 stand schon wieder deut­lich eher im Zeichen ein­er Kri­tik an glob­al kriegführen­den und (neu-)imperialistischen Mächt­en als im Zeichen eines auch lokal geführten Klassenkampfs.

Auch die Idee, große Bevölkerung­steile wären dem­nächst zu mobil­isieren, um dem herrschen­den Arrange­ment repräsen­ta­tiv­er Demokratie + Kap­i­tal­is­mus auf­grund der eige­nen Betrof­fen­heit durch Kürzun­gen in der Krise die Loy­al­ität aufzukündi­gen, geri­et dadurch wieder in Bedräng­nis.[3] Auch der Aus­gang der Bun­destagswahl 2017 hat hier ein ein­deutiges Sig­nal geset­zt. All das gibt uns Gele­gen­heit und Anlass, darüber nachzu­denken, ob und wie sich ver­schiedene gesellschaftliche Wider­sprüche auch ohne den äußeren Druck ein­er akuten Finanzkrise als struk­turi­ertes Ganzes analysieren lassen. Die Frage lautet: Wie kann die radikale Linke nach der Krise ein Zusam­men­führen ver­schieden­er Kämpfe prak­tisch bew­erk­stel­li­gen und the­o­retisch begründen?

Die Her­aus­forderung – Klassen- vs. Gesellschaftstheorie

Eine solche Prob­lem­stel­lung ste­ht zunächst vor dem Phänomen, dass mod­erne Gesellschaften sich durch Demokratisierung­sprozesse den Anspruch geben haben, prinzip­iell unbe­gren­zt reform­fähig zu sein. Generell hat die Konzen­trierung poli­tis­ch­er und ökonomis­ch­er Macht dafür gesorgt, dass Inter­essenkon­flik­te an den Gren­zen von Nation­al­staat­en, an Klas­sen­gren­zen und an den Gren­zen geschlechtlich­er Arbeit­steilung nur um so härter aus­ge­tra­gen wur­den. Pseu­do-Demokratisierung und inner­er pseu­do-Befriedung wurde durch eine noch sys­tem­a­tis­chere Aus­gren­zung im Innern und nach Außen erkauft. Beson­ders Frauen* waren in Europa lange ganz offen über­haupt vom Demos aus­geschlossen, genau­so wie nicht-weiße Men­schen. Auch Grun­drechte haben das ‚Prob­lem‘, dass sie de fac­to wed­er für alle gel­ten noch allen gle­icher­maßen von Nutzen sein kön­nen. De jure jedoch obliegt die Frage, wie das Leben aus­gestal­tet sein sollte, demokratis­chen und rechtsstaatlichen Prinzip­i­en – ein Arrange­ment, das fak­tisch die aller­größte Mehrheit der Bevölkerung ide­ol­o­gisch einbindet.

Als eine beson­ders gute Erk­lärung für den par­tiku­laren Charak­ter der ver­meintlich uni­ver­salen Fortschritte sind marx­is­tis­che The­o­rien bekan­nt gewor­den. Diese haben aufgezeigt, dass die Fortschritte, mit denen die Her­aus­bil­dung der mod­er­nen Welt sich recht­fer­tigte, gar nicht das Pro­dukt ein­er freien und aufk­lärerischen, gar rev­o­lu­tionären Bewe­gung seien. Vielmehr habe sich im Laufe der Zeit die Fähigkeit und die Art und Weise der Gesellschaften geän­dert, Gebrauch­swerte herzustellen. Diese Änderun­gen hät­ten dann wiederum Kon­se­quen­zen für die Lebenswirk­lichkeit der Men­schen gehabt: Der „freie Lohnar­beit­er“ sei nicht frei, weil das für ihn net­ter ist, son­dern weil er auf diese Weise bil­liger, flex­i­bler, mobil­er, ver­wund­bar­er, form­bar­er etc. ist. Demokratisierung passiere nicht, weil sie irgend­wie gerecht wäre, son­dern weil sie beson­ders gut Kreativ­ität und Legit­im­ität abschöpft und unzeit­gemäße Eigen­tums­for­men beson­ders leicht verflüssigt.

In dieser marx­is­tis­chen Sichtweise war es daher kein Wun­der, dass Staat­en als radikal unre­formier­bar gal­ten. Zwar gebe es Refor­men, diese tra­bten aber den Anforderun­gen der Akku­mu­la­tion höch­stens hin­ter­her. Sollte diese ein­mal ins Stock­en ger­at­en, oder erneut ihre Anforderun­gen ändern, sei es sehr schnell aus mit der Fortschrit­tlichkeit. Nach Marx gehörte Wladimir Lenin zu den­jeni­gen, die diese radikale Pfad­ab­hängigkeit der Entwick­lung von Gesellschaften logisch und auch empirisch zu zeigen ver­sucht­en.[4] Seine Ergeb­nisse bracht­en ihn zu sein­er Zeit zu der Schlussfol­gerung, der demokratisch-kap­i­tal­is­tis­che Staat müsse auf jeden Fall zer­schla­gen wer­den, bevor es mit dem guten Leben für alle etwas wer­den kann. Es war ganz zen­tral dieser Über­gang von ein­er Kri­tik des Kap­i­tals zu ein­er The­o­rie der Gesellschaft, die den his­torischen Gehalt und Erfolg des Marx­is­mus mit aus­gemacht hat. Bewusst oder nicht, struk­turi­eren diese Schlussfol­gerun­gen bis heute ungeprüft große Teile des Diskurs­es um Klassenkampf und Revolution.

Hier liegt ein wichtiger Teil des Prob­lems. Staat­en ver­weisen heute selb­st­be­wusst auf die teils großen sozialen Refor­men, die während ihres Beste­hens erre­icht wor­den sind, und wis­chen damit die These von der Unre­formier­barkeit weg, die im Hin­ter­grund die gesamte Auf­fas­sung von radikaler Kri­tik zusam­men­hält. Die radikale Linke ste­ht dadurch vor einem Dilem­ma: Wie kann sie an das Erbe und den teil­weisen Erfolg ein­er Kri­tik von „Staat, Nation und Kap­i­tal“ anknüpfen und gle­ichzeit­ig die Fortschritte der bürg­er­lichen Gesellschaft angemessen kri­tisch würdigen?

Die viel disku­tierte Antwort der AKK lautete: Klassen­be­wusst­sein. Die Krise sorge von selb­st dafür, dass alle sowieso schon ver­wund­baren Sta­tus­grup­pen weit­er prekarisiert wür­den. Es käme daher darauf an, dieses Fak­tum all den von der Krise betrof­fe­nen Sub­jek­ten klarzu­machen. Ganz unfrei­willig rückt die AKK so in die Posi­tion, ins­ge­heim immer schon Bescheid wis­sen zu müssen: Vom Kap­i­tal­is­mus führt der Weg zur Krise, von der Krise zur Prekarisierung und von der zum Klassen­be­wusst­sein. Das Kap­i­tal als der große Gle­ich­mach­er sorgt dafür, dass die Inter­essen aller benachteiligten Sub­jek­te spätestens in der Krise die gle­ichen sind: Klassenkampf und Revolution.

Ökonomie, Kul­tur und Sub­jekt – die Posi­tion der translib[5]

Doch was, wenn diese Gle­ich­för­migkeit der Inter­essen der Sub­jek­te sich auch in Krisen­zeit­en ein­fach nicht zeigen will? Was, wenn der Großteil der Sub­jek­te von der Kon­ver­genz der Inter­essen nicht nur nicht überzeugt ist, son­dern sich ein­er solchen Ein­sicht ger­adezu widersetzt?

Zu Recht weist auch der Beitrag der Leipziger translib im Heft diesen Ein­heit­sop­ti­mis­mus über den Klassen­be­griff method­isch und entsch­ieden zurück: „Die peren­nierende Spal­tung zwis­chen kom­mu­nis­tis­ch­er und fem­i­nis­tis­ch­er Bewe­gung ist … bis auf weit­eres eine notwendi­ge“, heißt es darin.[6] Die Unmöglichkeit, nicht nur das Patri­ar­chat, son­dern auch etwa Fra­gen von Ras­sis­mus und Kolo­nial­is­mus unter die Klassen­frage zu sub­sum­ieren (wodurch auch aus dem „hal­bierten Blick“ schnell ein ⅓- oder ¼‑Blick wird), ist auch unser­er Auf­fas­sung nach unverkennbar. Der Spalt wird sich unser­er Ein­schätzung nach zudem eher noch ver­größern, wenn die Fra­gen nach der Hier­ar­chie erst ein­mal mit Nach­druck umge­dreht wer­den, sollte etwa der Kap­i­tal­is­mus ein­mal zur wenig bedeu­ten­den Son­der­form des Patri­ar­chats erk­lärt werden.

Der Beitrag der translib macht daher völ­lig zu Recht darauf aufmerk­sam, dass ein klassen­the­o­retis­ch­er Ansatz, so wie er im Moment vor­liegt, für die gegen­wär­tige Lage nicht aus­re­ichend anschlussfähig ist: „Das ›Prob­lem‹ des Geschlechter­ver­hält­niss­es ist … eines, das Män­ner und Frauen ›nicht‹ auf Gle­iche Weise teilen“, heißt es dort.[7] In ihrem Nach­wort schreibt die AKK darauf etwas rat­los, sie ver­ste­he zwar die Kri­tik – gle­ichzeit­ig ver­mag sie von ihrem prinzip­iellen Ein­heitspar­a­dig­ma aber nicht abzurück­en. So heißt es dann etwas fatal­is­tisch: „Wenn sie [die kom­mu­nis­tis­che und die Frauen­be­we­gung; FG] sich nicht miteinan­der verbinden, wer­den let­ztlich bei­de scheit­ern“.[8]

Unser Ein­druck ist: Dieser Fatal­is­mus muss nicht sein. Er hat seine Wurzel ohne­hin in ein­er Zeit, in der Poli­tik notwendi­ger­weise über solche Gesten funk­tion­ierte. Viel ein­fach­er, als sich um solch große Geschichtsmod­elle zu ori­en­tieren, wäre es, die Frage nach der tat­säch­lichen Verbindung von poli­tis­chen Kämpfen, etwa all­ge­mein von Fem­i­nis­mus und kom­mu­nis­tis­ch­er Bewe­gung, ein­mal ganz offen zu stellen. Was ist denn, worin beste­ht denn die Verbindung der bei­den Seit­en wirk­lich, von der wir ja eben­falls intu­itiv überzeugt sind? Nach­dem viele Posi­tio­nen in der Debat­te ohne­hin in der akademis­chen Arbeit ver­wurzelt sind, wäre es doch gelacht, wenn wir zu diesen Fra­gen nicht mehr anzu­bi­eten hät­ten, als ein vages Autorität­sar­gu­ment in Bezug auf Karl Marx?

Der „Organ­i­sa­tion­sop­ti­mis­mus“[9] übri­gens, von dem die Fre­undin­nen und Fre­unde der klassen­losen Gesellschaft in ihrem Beitrag sprechen, erscheint uns ein recht kon­se­quenter Aus­druck der beschriebe­nen the­o­retis­chen Vorurteile zu sein. Uns scheint: Das Eingeständ­nis, keine genaue Vorstel­lung davon zu haben, welche Gren­zen und Pfad­ab­hängi­gen auch in spätkap­i­tal­is­tis­chen Staat­en beste­hen, bedeutet nicht, das Beste­hende affir­mieren. Allerd­ings ste­ht ein solch­es Eingeständ­nis dur­chaus im Wider­spruch zu pop­ulis­tis­chen Poli­tik­for­men, denen der genaue Inhalt solch­er Slo­gans ten­den­ziell egal ist, solange sie Pub­likum anziehen bzw. eben Klassen­be­wusst­sein fördern.[10] Wäre es demge­genüber eine Möglichkeit, die Verbindung von Kämpfen tat­säch­lich zu erforschen, und diesen Prozess organ­isieren und politisieren?

Damit kom­men wir jedoch auch zur Kehr­seite der Rep­lik von der translib. Es scheint uns fol­gen­des vorzuliegen: Die Posi­tion der AKK verengt das The­o­rien­ange­bot aus ver­schiede­nen Grün­den auf einen recht engen Klassen­be­griff. Die translib wiederum nimmt diese Veren­gung recht ungeprüft beim Wort: „Auf der Strecke bleibt“, laut dem Beitrag, „was sich mit dem begrif­flichen Arse­nal der Kri­tik der poli­tis­chen Ökonomie nicht fassen lässt, was nicht ent­lang der Klas­sen­gren­zen ver­läuft und möglicher­weise nicht mit den Mit­teln des Klassenkampfes über­wun­den wer­den kann“.[11]

Nun kön­nte aber doch dur­chaus behauptet wer­den, dass sich mit den Mit­teln der Kri­tik der poli­tis­chen Ökonomie einiges mehr fassen lässt, als Fra­gen ent­lang der Klas­sen­gren­zen und des Klassenkampfes – wenn es denn ver­sucht wird. Die poli­tis­che Ökonomie, die da kri­tisiert wer­den soll, beste­ht ja nicht nur aus ein paar Sätzen zu Grun­drente und Frei­han­del, son­dern aus einem umfassenden Gebäude aus Auf­fas­sun­gen zu Staat, Demokratie und Gesellschaft ganz generell, die immer­hin ein­er großen Mehrzahl der Men­schen dur­chaus eingängig ist. Nicht nur Pro­le­tari­er glauben ja an die Kräfte des Sozial­staats, son­dern, wie die translib fest­stellt, glauben dur­chaus auch Frauen* an die Erweiterung des „Spielraum[s] für Frauen in den west­lichen Gesellschaften“.[12] Ohne andeuten zu wollen, dass alle Gesellschafts­fra­gen rest­los im Marx­is­mus aufge­hen wür­den (sie tun es nicht), ist es doch zweifel­sohne so, dass dieser weit mehr als nur einen Begriff von Klassen­poli­tik anzu­bi­eten hat. Nicht umson­st ist doch ger­ade das Feld um den mate­ri­al­is­tis­che Fem­i­nis­men in der Ver­gan­gen­heit mitunter am pro­duk­tivsten für Fra­gen dieser Art gewe­sen.[13] Wenn also über­haupt eine gute Auf­fas­sung von der Dynamik der Spiel­räume von mod­er­nen Staat­en möglich ist, so wäre diese doch sicher­lich in Umris­sen der Tra­di­tion des Marx­is­mus zu entnehmen?

Die translib ver­weist demge­genüber allerd­ings eher auf Plu­ral­ität. Ein­er Ökonomiekri­tik müsse grund­sät­zlich zumin­d­est eine Kul­tur­the­o­rie und eine The­o­rie der Sub­jek­tiv­ität zur Seite ste­hen. Während das grund­sät­zlich eine unzweifel­haft gute Idee zu sein scheint, kom­men wir doch nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass diese The­o­rien ihrer Grund­sätze und Fragestel­lung nach sich oft ger­ade nicht als Kor­re­lat, son­dern als Gegen­teil zu Fra­gen nach den präde­ter­minierten Gren­zen solch­er Spiel­räume ver­ste­hen. Die Prax­is der Gesellschaftskri­tik, egal ob sie nun nach Art Frank­furter Kul­turkri­tik oder nach post­struk­tu­ral­is­tis­ch­er Sub­jek­tivierungskri­tik erfol­gt, lebt ja schein­bar lei­der ger­ade davon, den Reform­pes­simis­mus der Radikalen und Rev­o­lu­tionären bei­seite zu schieben: ››Kann es kri­tisiert wer­den, kann es auch verän­dert wer­den.‹‹ Kann eine kul­turkri­tis­che Prax­is das Prob­lem ver­mei­den, ger­ade dort in die Rolle eines ideellen Sur­ro­gats zu rück­en, wo materielle Verän­derun­gen unmöglich scheinen, wenn etwa die Kri­tik von Aus­gren­zung das Pro­gramm ein­er Öff­nung fak­tis­ch­er Gren­zen ersetzt?

Wir teilen die Analyse, dass die u.a. geschlechtliche, koloniale/imperiale, kor­po­re­ale Sub­jek­tivierung der Men­schen die „Bedürfnis­struk­tur der Sub­jek­te und ihre psy­chis­chen Dis­po­si­tio­nen, den Umkreis ihrer erwor­be­nen Fähigkeit­en und Beziehun­gen zur Welt und zu ihren Mit­men­schen ihr All­t­agsleben und ihren konkreten Erfahrung­shor­i­zont“ nicht nur prägt, son­dern eben: „deter­miniert“.[14] Auch hier bleibt aber das Prob­lem, dass sich der mod­erne Staat dur­chaus den Anspruch gibt, dass dieser Zusam­men­hang eben ger­ade kein zwin­gen­der sei. Prinzip­iell will die Gesellschaft in der Lage sein, jedem Sub­jekt ein umstand­slos­es Aus­brechen aus der Lage nicht nur zu erlauben, son­dern pos­i­tiv zu ermöglichen. Unser Ein­druck ist, dass die radikale Linke, trotz allen Ver­suchen, derzeit keine method­is­che Antwort auf diese Frage hat, und sich deswe­gen zu Recht immer mehr Kri­tik an den patri­ar­chalen kap­i­tal­is­tis­chen Staat wendet.

„Entsch­ieden kri­tisiert wer­den muss auch die Auf­fas­sung, der Staat könne in irgen­dein­er Weise in ein Werkzeug der pro­le­tarischen Rev­o­lu­tion ver­wan­delt wer­den“, schreibt die AKK zu dieser Frage am Ende ihres Nach­worts.[15] Das sehen wir, im Groben, auch so. Warum andere das aber so sehen soll­ten, ist eine harte Frage, für die wir in der gegen­wär­ti­gen Linken nur wenige Antwort aus­machen kön­nen.[16] Dieses Prob­lem wird aber nach unserem Dafürhal­ten nicht nur durch Ver­net­zung gelöst, son­dern viel bess­er durch eine Anstren­gung, eine neue tragfähige Antwort zu entwick­eln – auch wenn wir zugeben müssen, dass eine solche Antwort in weit­er Ferne liegt. Ist es deshalb vielle­icht nicht doch ein über­zo­gen­er Anspruch, poli­tis­che Aktion von ein­er the­o­retis­chen Durch­dringung nicht nur der Rolle des Staats, son­dern auch dem Zusam­men­hang von Geschlechter- und Klassenkämpfen abhängig zu machen? Wie kön­nte eine solche Antwort eigentlich ausse­hen? Liegt die Lösung demzu­folge vielle­icht über­haupt in ein­er Preis­gabe der „The­o­rie mit großem T“? Welche pos­i­tiv­en Leit­sätze wären in der Lage, das radikale ein­er poli­tis­chen Organ­isierung heute zu garantieren?

 

 

  1. Antifa Kri­tik & Klassenkampf 2015, Der kom­mende Auf­prall. Auf der Suche nach der Reißleine in Zeit­en der Krise. Strate­gis­che Über­legun­gen, Online unter http://akkffm.blogsport.de/2015/04/02/der-kommende-aufprall/
  2. Nur wenige Kom­mentare glauben noch an eine gegen­wär­tige End­krise des Kap­i­tal­is­mus, vgl. z. B. vgl. Wolf­gang Streeck 2017 [2016], How Will Cap­i­tal­ism End?, Lon­don: Ver­so, 47
  3. Vgl. z. B. das Konzept eines „Dis­si­den­ten Drit­tels“ Thomas Seib­ert 2015, Erste Noti­zen zum Plan A ein­er neuen Linken, online unter: Erste Noti­zen zum Plan A ein­er neuen Linken, online unter: https://www.solidarische-moderne.de/de/article/458.erste-notizen-zum-plan-a-einer-neuen-linken.html
  4. Wladimir I. Lenin 1960, Impe­ri­al­is­mus als höch­stes Sta­di­um des Kap­i­tal­is­mus, in: ders., Werke, Band 22, Berlin: Dietz, 189–309, 211.
  5. Wir geben den Artikel von Kat Lux, Johannes Hauer und Mar­co Bonave­na hier der Ein­fach­heit hal­ber als „Posi­tion der translib“ wieder – sollte das nicht in Ord­nung sein, lösen wir das gerne anders.
  6. Vgl. Kat Lux/Johannes Hauer/Marco Bonave­na 2017, Der hal­bierte Blick. Gedanken zum Geschlechter­ver­hält­nis im Kom­menden Auf­prall, in: Diskus Nr. 2/16, 55. Jg., 12–21, 16
  7. Vgl. Lux/Hauer/Bonavena, a.a.O., 14
  8. Vgl. Antifa Kri­tik & Klassenkampf 2017, Nach­wort, in: Diskus Nr. 2/16, 55. Jg., 54–60, 54
  9. Fre­undin­nen und Fre­unde der Klassen­losen Gesellschaft 2017, Frag­men­tarisches zur Organ­i­sa­tions­frage, in: Diskus Nr. 2/16, 55. Jg., 8–11, 9
  10. In diesem Zeichen stand unser Ver­such gegen diesen Hor­i­zont des Pop­ulis­mus zu inter­ve­nieren, vgl. Flo­ri­an Geisler/Alex Struwe 2017, Der Hor­i­zont des Pop­ulis­mus, in: Phase 2 Nr. 54xx
  11. Lux/Hauer/Bonavena, a.a.O., 12
  12. ebd., 16
  13. Wie denken hier beispiel­sweise an die Stu­di­en zur geschlechtlichen ursprünglichen Akku­mu­la­tion bei Clau­dia v. Werlhof/Maria Mies/Veronika Bennholdt-Thom­sen 1988 [1983], Frauen, die let­zte Kolonie. Zur Haus­frauisierung der Arbeit, Rein­bek: Rowohlt oder an grund­sät­zliche Über­legun­gen zum Ver­hält­nis von Patri­ar­chat und Kap­i­tal­is­mus in der Geschichte bei Sil­via Fed­eri­ci 2012 [engl. 2004], Cal­iban und die Hexe. Frauen, der Kör­p­er und die ursprüngliche Akku­mu­la­tion, Wien: Man­del­baum; neben der von der translib bere­its erwäh­n­ten Frig­ga Haug lässt sich die Liste sehr schnell erweit­ern, etwa um Kat Lux’ Beiträge, etwa mit der zutr­e­f­fend­en Kri­tik der Form des „Zusam­mendenkens“ in: Kat Lux 2011, Über­legun­gen zur Kri­tik der Gesellschaft, in out­side the box. Zeitschrift für fem­i­nis­tis­che Gesellschaft­skri­tik, 3/2011, Bogen 10, sind hier eben­so ein­schlägig – es scheint aber darauf anzukom­men, diese neg­a­tive Kri­tik des Zusam­mendenkens durch eine pos­i­tive Auf­fas­sung darüber zu erset­zen, wie den die Zusam­men­hänge tat­säch­lich beschaf­fen sind.
  14. Lux/Hauer/Bonavena, a.a.O., 14.
  15. Antifa Kri­tik & Klassenkampf 2017, a.a.O., 59.
  16. Eine prag­ma­tis­che Antwort wurde z. B. von Lil­ly Frey­tag und Mina Khani in ein­er Zeitschrift unter dem Mot­to Klasse gegen Klasse vorgelegt, das der Beitrag der translib auch auf­greift: Diskri­m­inierende Gewalt habe zwar Sys­tem, aber let­ztlich nicht unbe­d­ingt einen logis­chen let­zten Grund des Zusam­men­halts (etwa eine Total­ität etc.). Die Sol­i­dar­ität über Geschlechter‑, Klassen- und Nation­al­staats­gren­zen hin­weg sei dem­nach schlicht deswe­gen wichtig, weil sich die Angriffe diese Gren­zen zunutze machen, was an sich Grund genug sei. Vgl. Lil­ly Freytag/Mina Khani 2017, Die Kette der Gewalt zer­schla­gen, online unter: https://www.klassegegenklasse.org/die-kette-der-gewalt-zerschlagen/

von Flo­ri­an Geisler

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