Imperiale Festung

Leseno­tiz zum AKG-Son­der­band 2019, Teil I

Cari­na Book, Niko­lai Huke, Sebas­t­ian Klauke, Olaf Tiet­je (Hrsg.) | Alltägliche Grenzziehun­gen | Das Konzept der »Impe­ri­alen Lebensweise«, Exter­nal­isierung und exk­lu­sive Sol­i­dar­ität | 2019 | West­fälis­ches Dampf­boot | 25€

Ökolo­gie und Migra­tionsregime sind zwei der bes­tim­menden Debat­ten im poli­tis­chen Diskurs (der Bun­desre­pub­lik) in den 2010er-Jahren: Der “Som­mer der Migra­tion” und die Kämpfe um den Ham­bach­es Forst waren mehr noch als die Schlacht um Ham­burg im Zuge der G20-Block­aden die her­vorstechen­den Ereignisse. Der diesjährige Son­der­band der Assozi­a­tion für kri­tis­che Gesellschafts­forschung (AkG) bildet diese Phänomene ab. Wir möcht­en im Fol­gen­den unsere Ein­drücke zu zwei dieser Teil-Debat­ten wiedergeben, in Teil I nun zunächst zum Migrationsregime.

Die Kri­tik der Grenz- und Migra­tionsregime wurde wesentlich von Fabi­an Geor­gi vor­ange­bracht, der im vor­liegen­den Band seinen Begriff des “Fes­tungskap­i­tal­is­mus” (28) erk­lärt und vertei­digt. Geor­gi legt überzeu­gend dar, dass die gegen­wär­tige Phase des späten Impe­ri­al­is­mus (er selb­st ver­mei­det diesen Begriff weit­ge­hend) her­vortreten lässt, dass Gren­zen und die kün­stliche Selek­tion von Men­schen in In- und Out-Grup­pen eine “kon­sti­tu­tive Rolle” (28) für die kap­i­tal­is­tis­che Gesellschafts­form spie­len. Ent­ge­gen der lib­eralen Argu­men­ta­tion, Gren­zen seien nur nötig, um verbindliche Rechts- und Verkehrs­for­men zu schaf­fen, aber auch ent­ge­gen der post­mod­er­nen Lesart, Gren­zen seien im wesentlichen kontin­gente Prak­tiken, die stets unter­laufen wer­den, betont Geor­gi die Rolle von Gren­zen als Teil eines struk­turi­erten Ganzen, als Teil von Gren­zreg­i­men oder eben als Teil eines gerichteten Gesamtzusam­men­hang der Gesellschaft.

Was Geor­gi ausze­ich­net ist seine Kri­tik der eher an Sub­jek­ten denn an Struk­turen ori­en­tierten Migra­tions­forschung. Diese habe, so Geor­gi, “den Ver­such ein­er gesellschaft­s­the­o­retis­chen Einord­nung von Gren­zen ten­den­ziell aufgegeben. Stattdessen zele­bri­eren viele ihrer Texte die Tur­bu­lenz und Kontin­gent von Migra­tion und Mobil­itäten und beto­nen bis zum Über­druss, wie enorm flu­ide, vielschichtig, insta­bil, wider­sprüch­lich, rela­tion­al, überkom­plex usw. Migra­tions- und Gren­zregime seien.” (36) Diese Kri­tik ist deshalb wichtig, weil sie über den Spezial­bere­ich der Migra­tions­forschung hin­aus tat­säch­lich die Denkweise und Attitüde der Sozial­wis­senschaft generell trifft, die, gle­ich­sam aus ein­er eige­nen Krise und Ohn­macht gegenüber den gesellschaftlichen Struk­turen, diese Struk­turen lieber für irrel­e­vant erk­lärt als ihre eigene Ohn­macht einzugestehen.

Wir möcht­en jedoch darauf hin­weisen, dass auch das “reg­u­la­tion­s­the­o­retis­che” Par­a­dig­ma (38), in das sich Geor­gi einord­net, diesen Anspruch selb­st nicht immer ein­hält (und the­o­riegeschichtlich, so wäre unsere These, ja ger­ade aus ein­er Öff­nung der kri­tis­chen Gesellschafts­forschung für diese Sichtweise her­vorge­ht), in der Hoff­nung, dass sich die Begriffe dadurch weit­er schär­fen lassen. Geor­gi fasst die “the­o­riepoli­tis­chen Ein­sätze” sein­er Arbei zusam­men: Es geht ihm darum, dass in eine Kri­tik der mod­er­nen Gren­zen die “bre­it­eren Dynamiken der his­torischen For­ma­tio­nen” (39) ein­be­zo­gen wer­den müssten, dass es “um die Aufhe­bung von glob­alen (Re-)Produktionsverhältnissen” (40) gehen müsste (und nicht nur um eine “men­schlichere” Reg­ulierung) und let­z­tendlich um die Ein­sicht, “dass restrik­tive Kon­troll- und Abschot­tungsregime heute zu einem zen­tralen Reg­u­la­tions-Vehikel gewor­den sind” (40).

Doch diese Vehikel-Meta­pher set­zt weit­er­hin voraus, ‘dass da jemand ist’, der/die dieses Vehikel steuert und bei Bedarf das Vehikel auch ein­mal wech­selt. Dieser jemand scheint ger­ade aus der zuvor angedeuteten Per­spek­tive auf die Gesamtheit der sozialen Struk­tur wieder ausgenom­men zu sein. Das Vehikel des “neolib­eralen Migra­tions­man­age­ments” ist in eine Krise ger­at­en, und so steigt dieser jemand nun um auf ein repres­sives Migra­tions­man­age­ment und schot­tet den West­en ab wie eine Fes­tung. Doch warum kann dieser jemand das tun? Wir haben es ja nicht mit einem Coup der Recht­sradikalen zu tun, son­dern offen­bar mit ein­er organ­is­chen Dynamik des west­lichen Kap­i­tal­is­mus, der ganz von selb­st den neuen Grenz-Faschis­mus in nuce pro­duziert hat. Die Analyse, dass dieser Wech­sel passiert ist – so erhel­lend sie in vie­len Punk­ten ist – sagt lei­der noch nicht viel darüber, warum dies passiert ist und warum die Macht (immer noch) in den Hän­den der­jeni­gen liegt, die dies zulassen oder bewusst betreiben.

Es ist dieses “warum” – so scheint es uns – , das Geor­gi mit seinem Begriff des Fes­tungskap­i­tal­is­mus vertei­digt und das Pro­jekt ein­er pro­gram­ma­tis­chen Preis­gabe kri­tisiert. Insofern gilt es auch für die Zukun­ft, nicht nur immer weit­ere Erschei­n­ungs­for­men des repres­siv­en Charak­ters unser­er Lebensweise nacheinan­der zu beschreiben und mit Querver­weisen auf den ‘materiellen Gehalt’ der Repres­sion zu verse­hen, son­dern tat­säch­lich aufzuzeigen, ob und wie “Kap­i­tal­is­mus” respek­tive “antikap­i­tal­is­tisch” tat­säch­lich die Begriffe sind, unter denen der Wider­stand zu organ­isieren ist. Denn nach wie vor sind schließlich große Massen lei­der nicht der Mei­n­ung, dass die Ursachen der mod­er­nen Krisen in der Herrschaft des Mark­tes zu suchen ist, ein­fach weil die von Geor­gi ange­sproch­enen “bre­it­eren Dynamiken der his­torischen For­ma­tio­nen” allzu oft mit Schweigen bedeckt werden.

Ein Hin­weis: Geor­gi wird am 24. Juni sein Buch über Migra­tions­man­age­ment in Frank­furt vorstellen.

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