„Reiner Zufall, und doch nicht zufällig“

Eine Bespre­chung der deut­schen Erst­aus­ga­be von Negris Vor­le­sung von 1979 ist eine undank­ba­re Auf­ga­be. Nicht weil sie schwer zu lesen wäre – im Gegen­teil, Negris Buch gehört sicher zu den zugäng­lichs­ten Marx-Kom­men­ta­ren, die man fin­den kann. Und auch an der poli­ti­schen Inte­gri­tät von Negri, der lan­ge für sei­nen Kampf gegen den ita­lie­ni­schen Staat im Gefäng­nis saß kann kaum ein Zwei­fel bestehen. Und doch: Trotz sei­ner Ver­diens­te erscheint Negris Dar­stel­lung des poli­ti­schen Gehalts des Mar­xis­mus im Kern irreführend. 

Fra­ge­stel­lun­gen

Negri, so scheint es zumin­dest, beginnt sei­ne Rekon­struk­ti­on von Marx’ Grund­ris­sen nicht mit einer kla­ren Fra­ge­stel­lung. Statt­des­sen zielt Negri auf Ant­wor­ten: „Der Kom­mu­nis­mus kann nicht die Kor­rek­tur der Dis­har­mo­nien des Kapi­tals sein“, heißt es (83) bei­spiels­wei­se. Doch auf wel­che Fra­ge ist das die Ant­wort? Ers­tens ver­kauft nie­mand (mehr) Refor­men als Kom­mu­nis­mus. Zwei­tens liegt die Bring­schuld gera­de auf der ande­ren Sei­te: der Kom­mu­nis­mus müss­te der Mehr­heit der Men­schen über­haupt mal auf­zei­gen, dass er den Dis­har­mo­nien des Kapi­tals vor­zu­zie­hen ist. War­um das nicht gelingt, wäre eine Fra­ge­stel­lung, die zu klä­ren sich für die heu­ti­ge (post-)operaistische Lin­ke loh­nen könnte.

Die gro­ße his­to­ri­sche Fra­ge des ita­lie­ni­schen Kom­mu­nis­mus war, ob er sich um Kom­pro­miss und Aus­gleich mit den gemä­ßig­ten und libe­ra­len Kräf­ten bemü­hen soll­te. Doch die­se his­to­ri­sche Pha­se ist vor­bei, und selbst wenn sie noch aktu­ell wäre müss­te hin­ter­fragt wer­den, ob der Rück­griff auf Marx’ Schrif­ten nicht, im bes­ten Fall, einen holp­ri­gen Umweg über die Phi­lo­so­phie dar­stellt, wo die direk­te Rede über die Zie­le der Bewe­gung ver­sperrt ist, im schlech­tes­ten Fall aber nur ein Auto­ri­täts­ar­gu­ment ist.

Heu­te aller­dings haben sich die Fra­ge­stel­lun­gen in eine ande­re Rich­tung ent­wi­ckelt. Wo ist ‚die kom­mu­nis­ti­sche Bewe­gung‘ die durch einen mah­nend geho­be­nen Fin­ger davon abge­hal­ten wer­den könn­te, einen fal­schen Kom­pro­miss ein­zu­ge­hen? Kön­nen wir uns wirk­lich sicher sein, dass z. B. der Kli­ma-Akti­vis­mus, der Kampf gegen die west­li­chen Grenz­re­gime oder der radi­ka­le Femi­nis­mus sich aus­ge­rech­net durch die mah­nen­den Wor­te des frü­hen Marx auf einen kon­se­quen­ten Kurs „gegen das Sys­tem“ ein­schwö­ren las­sen? Es scheint rela­tiv klar, dass mit gro­ßen anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen Wor­ten bei die­sen Pro­test­for­men kein Blu­men­topf zu gewin­nen ist.

Und zwar zurecht, denn der Nach­weis, dass und war­um es denn nicht reicht, freie Markt­wirt­schaf­ten sozi­al zu regu­lie­ren, ist noch viel weni­ger aus­ge­ar­bei­tet und plau­si­bel als noch vor hun­dert Jahren. 

Zwi­schen den theo­re­ti­schen Über­le­gun­gen begin­nend bei Marx und Engels, Lenin, Luxem­burg Lieb­knecht und wie sie alle hei­ßen und der Theo­rie heu­ti­ger Tage liegt eine Geschich­te gründ­lichs­ter intel­lek­tu­el­ler Ent­eig­nung, der auch gera­de durch vie­le aka­de­mi­sche „Rekon­struk­ti­ons­ver­su­che“ des Mar­xis­mus ihren Weg gebahnt bekam. Nur kon­se­quent, dass es Gre­ta Thun­berg heu­te nicht im gerings­ten ein­leuch­tet, war­um demons­trie­ren und refor­mie­ren nichts errei­chen kön­nen soll­te, wenn es doch so offen­sicht­lich eine so gro­ße pro­gres­si­ve Wir­kung ent­fal­tet. Popu­lä­ren Bewe­gun­gen die­ser Art ist das gro­ße Gan­ze hin­ter den sozia­len Pro­ble­men egal, sie suchen ihr Heil dar­in, ohne Vor­ur­tei­le prag­ma­ti­sche Lösun­gen zu fin­den. Die eigent­lich kri­ti­sche Fra­ge aber – war­um, zum Teu­fel, denn nicht frü­her etwas unter­nom­men wor­den wäre, war­um es z.B. erst aus­ge­rech­net einen Schul­streik braucht, damit etwas gegen den Kli­ma­wan­del unter­nom­men wird – wird dabei unter den Tep­pich gekehrt. Man möch­te sich von all­zu kri­ti­schem Nach­fra­gen schließ­lich auch nicht die Zustim­mung der brei­ten Mas­sen vergraulen.

Der­weil guckt der Teil der Men­schen, der immer­noch dar­an glaubt, dass die­ses „Staats­ver­sa­gen“, das sich in den Kli­ma­st­reiks aus­drückt, eben kei­nen Zufall dar­stellt, son­dern das ganz nor­ma­le busi­ness as usu­al einer im gro­ßen und gan­zen immer­noch impe­ria­len Welt­ord­nung ist, in die Röh­re. Dabei könn­te er wohl zur einen oder ande­ren wich­ti­gen Erkennt­nis gelan­gen, wür­de er sich trau­en, die Grund­fra­gen sei­ner Welt­sicht ein­mal ernst­haft, und nicht nur rhe­to­risch, zu stel­len: Was ist die Ver­bin­dung von Kapi­ta­lis­mus und Umwelt­zer­stö­rung? Was ist die Ver­bin­dung zwi­schen Arbei­te­rIn­nen- und Frauen*bewegung? Was ist die Inter­sek­ti­on von Ras­sis­mus, Natio­na­lis­mus und Kapi­tal? Kön­nen wir die­se Fra­gen denn wirk­lich nicht beant­wor­ten, ohne in den immer­glei­chen über­hol­ten Jar­gon zurückzufallen?

Auch Negri scheint die­se Fra­ge ein­fach mit einem der gro­ße nach­drück­li­chen Appell an den ech­ten Marx, in die­sem Fall eben den der Grund­ris­se: „Gibt es jeman­den, der den­ken wür­de, Marx stün­de auf die­sem Gebiet, wenn es um Pro­duk­ti­on und Fabrik geht … nicht auf einer Sei­te? Das heißt, nicht auf der Sei­te der Arbei­ten­den?“ (73) schiebt Negri alle Zwei­fel bei­sei­te. Negri bleibt hier resis­tent gegen jede Irri­ta­ti­on – über­setzt heißt die Pas­sa­ge doch nichts ande­res als: ‚Marx steht auf der Sei­te der Arbei­ten­den, und Marx hat immer recht, des­we­gen haben auch die Arbei­ten­den immer recht‘. Die Kri­tik ver­engt sich damit auf eine kämp­fe­ri­sche, aber umso plat­te­re Recht­ha­be­rei. Das mag für 1979 eine rich­ti­ge Medi­zin gewe­sen sein. Doch aus heu­ti­ger Sicht – und wie könn­ten wir die­sen Text nicht aus der Sicht der heu­ti­gen Lage und der gegen­wär­ti­gen Klas­sen­kämp­fe sehen, ohne Negri Unrecht zu tun, der sich selbst bestimmt nicht ger­ne als Muse­ums­stück stu­diert sehen wür­de – wir eben kla­rer und kla­rer, dass der Kom­mu­nis­mus eben nicht nur eine Fra­ge von Pro­duk­ti­on und Fabrik ist. Es wird klar, dass ein sich refor­mie­ren­der Kapi­ta­lis­mus ganz und gar kei­nen Wider­spruch-in-sich dar­stellt. Es wird klar, dass vie­le bür­ger­lich geführ­te und oft natio­nal gefärb­te, in jedem Fall ganz und gar un-inter­na­tio­na­lis­ti­sche Bewe­gun­gen zu Femi­nis­mus und Anti­ko­lo­nia­lis­mus für vie­le Genera­tio­nen lei­der die abso­lu­te Nor­ma­li­tät und oft das ein­zi­ge Hand­lungs­feld dar­stel­len. Von gro­ßen Reden über die Aktua­li­tät von Marx wird sich die­se Rea­li­tät nicht umkeh­ren lassen.

Negris ten­den­ziö­se Ana­ly­se von Gebrauchs- und Tausch­wert kann in so einem Umfeld nicht punk­ten. Natür­lich wur­de schon lan­ge vor Negri immer wie­der eine angeb­li­che Dia­lek­tik des Werts ins Spiel gebracht, um eine kathar­ti­sche Heil­s­er­zäh­lung über das Ende des Kapi­tals zu begrün­den. Gebrauchs- und Tausch­wert stün­den im Wider­spruch zuein­an­der, also müs­sen wir den Kapi­ta­lis­mus abschaf­fen, klar oder? – Nein, lei­der über­haupt nicht klar, und außer einem immer klei­ner wer­den­den Kreis aus Inter­es­sier­ten oder sogar Sym­pa­thi­san­ten mit der Marx’schen Sache auch wenig ein­sich­tig. Bes­ser, als die vor­ge­schütz­te Ein­sicht in eine mys­ti­sche Logik des Wider­spruchs zum Gate­kee­per für lin­ke Theo­rie zu machen, wäre es, den poli­ti­schen Gehalt des revo­lu­tio­nä­ren Mar­xis­mus erst ein­mal in ein­fa­cher Spra­che zu rekonstruieren. 

Negri ver­sucht nun, die­se Fra­ge metho­do­lo­gisch ein­zu­ho­len: „Wir … wol­len bestim­men, wie, nach wel­chem for­ma­len Mecha­nis­mus, die Dif­fe­renz [von Gebrauchs- und Tausch­wert] zum Ant­ago­nis­mus wird.“ (80) Tat­säch­lich ist das genau die Fra­ge, die zu klä­ren wäre. Doch Negri hält sein Ver­spre­chen lei­der nicht. Negris Ergeb­nis, in weni­ge Wor­te zusam­men­ge­fasst: Es gibt einen Welt­markt, und auch auf ihm gibt es genau wie in natio­na­len Märk­ten manch­mal Dis­har­mo­nien. Das ist sicher rich­tig, aber was das für die von Negri behaup­te­te neue Rol­le des Sub­jekts in der Geschich­te bedeu­tet, wor­in sie also besteht, die ange­kün­dig­te „neue Insur­rek­ti­on der leben­di­gen Arbeit“ (17), bleibt dem Leser so verschlossen.

Alles neu macht Marx

Ähn­lich ver­hält es sich mit sei­ner Dar­stel­lung von Aus­beu­tung und Kri­se. Negri blickt auf eine „neue Qua­li­tätder Aus­beu­tung“, die sich „nicht ein­fach durch die im Arbeits­pro­zess erzeug­ten Wer­te defi­nie­ren oder mit ihnen ins Ver­hält­nis set­zen lässt“ und sich dar­aus ergibt, „dass die gesell­schaft­li­che Arbeit in ihrer Gesamt­heit und unent­gelt­lich pro­duk­tiv ist“. Der „Pro­fit ist daher in ers­ter Linie gesell­schaft­li­cher Aus­druck des Mehr­werts in sei­ner Gesamt­heit, ein­schließ­lich der unent­gelt­li­chen Aus­beu­tung der gesell­schaft­li­chen Pro­duk­tiv­kräf­te“ (122). Prin­zi­pi­ell wäre das ein zen­tra­les The­men­feld etwa für eine heu­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung über unbe­zahl­te Repro­duk­ti­ons­ar­beit. Allein, die Fra­ge, was denn die­se neue Qua­li­tät denn sei, bleibt unbe­stimmt. Es klingt bei Negri gera­de so, als wäre es schon längst ein alter Hut, Aus­beu­tung mit dem Arbeits­pro­zess, mit der inter­na­tio­na­len oder ver­ge­schlecht­lich­ten Arbeits­tei­lung in Bezie­hung zu set­zen. Dabei ste­hen wir doch viel­mehr erst am Anfang von sol­chen Unternehmungen. 

Negri zielt auf die „Ana­ly­se der Kri­se als Form der Zir­ku­la­ti­on“ (131) und erwähnt Pro­zes­se der Ent­wer­tung, die ja tat­säch­lich über­all zu fin­den sind und wohl bei einer Berech­nung des berühm­ten Pro­fi­tra­ten­falls nicht außen vor blei­ben kön­nen. Doch auch hier ist kei­ne offe­ne Fra­ge­stel­lung in Sicht – und das ist das Para­do­xe an Negris Rekon­struk­ti­on: Obwohl er sich den gro­ßen begriff­li­chen Schwie­rig­kei­ten im Appa­rat der Marx­schen Öko­no­mie­kri­tik durch­aus bewusst ist, will er den­noch an kei­ner Stel­le ernst­haft über die­se Gren­zen spre­chen, will die Pro­ble­me an kei­ner Stel­le wirk­lich lösen. Sobald eine inhalt­li­che Schwie­rig­keit auf­taucht kommt wie von Zau­ber­hand stets eine neue Dia­lek­tik oder ein noch kom­ple­xe­rer Wider­spruch um die Ecke. Es scheint dabei ins­ge­samt so, als wäre jeweils das „Neue“ an der „neu­en Aus­beu­tung“ immer viel wich­ti­ger als die Aus­beu­tung selbst. 

Wir ken­nen das sonst aus Dis­kus­sio­nen um Neo­li­be­ra­lis­mus und die Erwei­te­rung kapi­ta­lis­ti­scher Mus­ter um eine neue Wei­se des Regie­rens. Doch der Fokus auf das angeb­lich Neue in einer neu­en Pha­se des Kapi­ta­lis­mus führt in die Irre, wenn noch nicht ein­mal die alte Pha­se ver­stan­den ist. Eine Lin­ke lügt sich sel­ber in die Tasche, wenn sie glaubt, die Novi­tät eines neu­en wohl­klin­gen­den Argu­ments allein rei­che aus, um die Kri­se des Mar­xis­mus zu über­win­den – abge­se­hen davon selbst­ver­ständ­lich, dass Negris Sicht­wei­se heu­te ja schon längst nicht mehr „neu“ ist, son­dern eben als Wis­sen­schaft von der „Bio­po­li­tik“ längst aka­de­mi­sche Wei­hen emp­fan­gen hat und zu Welt­best­sel­lern glatt­ge­bü­gelt wurde.

Kapi­tal und Subjekt

„Über das Kapi­tal hin­aus“ ist daher tat­säch­lich ein bedeu­ten­des Doku­ment der Genea­lo­gie des Para­dig­mas der Bio­po­li­tik und als sol­ches sowohl sei­nen Anhän­gern als auch sei­nen Kri­ti­kern zur Lek­tü­re emp­foh­len. Eine zen­tra­le The­se des spä­te­ren Dis­kur­ses ist hier bereits ent­hal­ten, näm­lich die befürch­te­te unmit­tel­ba­re Kolo­ni­sa­ti­on „des Lebens selbst“ durch den Kapi­ta­lis­mus, wie es heißt. 

Negri schreibt über den eigent­li­chen Erkennt­nis­ge­halt der Grund­ris­se: „All­zu oft ist Marx’ Text als ein­fa­che Geschichts­schrei­bung der kapi­ta­lis­ti­schen Ent­wick­lung gele­sen wor­den. Doch das trifft nicht zu. … Der wah­re Schlüs­sel des Erkennt­nis­pro­zes­ses: Eine zuneh­men­de Annä­he­rung an die Kom­ple­xi­tät des revo­lu­tio­nä­ren Sub­jekts, auf der rea­len Ebe­ne des Klas­sen­kampfs. … Das Sub­jekt wird immer wirk­li­cher, immer kon­kre­ter, die von der Mehr­wert­theo­rie beschrie­be­ne Zell­struk­tur wird kör­per­lich, wird beleb­te, voll­stän­di­ge Rea­li­tät.“ (147) Wei­ter heißt es: „Ab einem bestimm­ten Zeit­punkt, sobald näm­lich das Kapi­tal als »gesell­schaft­li­ches Kapi­tal« kon­sti­tu­iert, wird es nicht mehr mög­lich sein, Arbeit vom Kapi­tal, Arbeit vom gesell­schaft­li­chen Kapi­tal und vom Ver­wer­tungs­pro­zess zu unter­schie­den“ (165). 

Negris beschwö­ren­der Ges­tus, der sich in sei­nen spä­te­ren Schrif­ten noch ver­dop­peln und ver­drei­fa­chen soll­te, über­schätzt die Unmit­tel­bar­keit des Kapi­ta­lis­mus in ähn­li­chem Maß­stab, wie er sei­ne tat­säch­li­che Kom­ple­xi­tät unter­be­wer­tet. Selbst heu­te, in einer Welt mit unend­lich wei­ter ent­wi­ckel­ten Metho­den zur tech­ni­schen Unter­drü­ckung und Zer­glie­de­rung der Arbeit, kann von einer unmit­tel­bar rea­len, beleb­ten Struk­tur des Kapi­tals kei­ne Rede sein. Erns­te Fra­ge: Wo wäre die denn zu fin­den? Selbst der zer­stü­ckel­te Arbeits­tag eines moder­nen schein­selbst­stän­di­gen Fahr­rad­ku­riers kann nicht dar­über hin­weg­täu­schen, wohin am Ende der erwirt­schaf­te­te Über­schuss geht: an die Inha­ber der Ser­ver und an die Ver­mie­ter der eige­nen trost­lo­sen vier Wän­de. Weil ihm sein Fahr­rad selbst gehört, soll Arbeit und Kapi­tal unun­ter­scheid­bar sein und auf sein „Leben selbst“ zugrei­fen? Das erscheint wenig plau­si­bel. Dabei sug­ge­riert Negris Redens­art, alle Inter­pre­ta­ti­ons­schwie­rig­kei­ten sei­en in die­ser Form ein Pro­blem der Zukunft: Wenn sich das Kapi­tal als gesell­schaft­li­ches Ver­hält­nis setzt, also die Gesell­schaft „lücken­los und umfas­send“ (165) beherrscht, dann sol­le es schwer wer­den, Arbeit und Ver­wer­tung zu unter­schei­den. Doch ist es nicht gera­de so, dass schon jetzt das Rät­sel der Ver­wer­tung und Repro­duk­ti­on noch nicht gelöst ist?

Posi­tio­nen und Kon­junk­tu­ren der Kritik

Negri posi­tio­niert sich mit die­ser Vor­ge­hens­wei­se gegen die Les­art, die von Lou­is Althus­ser her­vor­ge­ho­ben wur­de, der Negri zuerst für die­se Vor­le­sung an die Uni­ver­si­tät gebracht hat­te (259). Althus­ser hat­te eine Zeit lang ver­sucht, eine huma­nis­ti­sche Ver­si­on lin­ker Poli­tik zurück­zu­drän­gen, die immer nur die Scher­ben zusam­men­kehrt und die Wun­den näht, die das Sys­tem mit jedem Zyklus neu ins Fleisch der Gesell­schaft schlägt. Negri dage­gen: „In [der] wil­den Ein­for­de­rung  des Kom­mu­nis­mus als Befrei­ung von Aus­beu­tung hat man bis­wei­len Ele­men­te von Indi­vi­dua­lis­mus oder huma­nis­ti­schen Mit­leids gese­hen. Selbst wenn dem so wäre, gäbe es dar­an nichts aus­zu­set­zen.“ (194) Kann die­ser teils enner­vie­ren­de Ges­tus des „Wil­den Kom­mu­nis­mus“ eine Ori­en­tie­rung für heu­ti­ge Bewe­gun­gen geben? Ich glau­be nicht. Zumin­dest bleibt erklä­rungs­be­dürf­tig, war­um ein sol­cher ver­meint­lich radi­kal-kom­mu­nis­ti­scher Flü­gel sich heu­te in demo­kra­ti­schen Initia­ti­ven wie DiEM25 kana­li­siert, die weder durch eine Ori­en­tie­rung an der Arbeiter*innenklasse noch durch eine nach­drück­lich anti­ka­pi­ta­lis­ti­sche Hal­tung auffallen.

Lese­no­tiz zu Anto­nio Negri | Über das Kapi­tal hin­aus| 2019 | Karl Dietz | 29,90 € | 263 S.

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