Materialistische Theorie und Trotzkismus

In Euro­pa nur noch wenig bekannt, steht vor allem in Latein­ame­ri­ka der­zeit eine neue alte poli­ti­sche Bewe­gung wie­der auf: der Trotz­kis­mus. Doch was waren die theo­re­ti­schen Grund­la­gen sei­nes Namens­ge­bers? Manu­el Kell­ners kur­ze, sehr dich­te und wohl­über­leg­te Ein­füh­rung fasst die wich­tigs­ten Bezugs­pro­ble­me und Ant­wor­ten des Trotz­kis­mus zusam­men. Der fol­gen­de Arti­kel bespricht eini­ge sys­te­ma­ti­sche Weg­mar­ken zwi­schen sei­ner Geschich­te als poli­ti­sche Bewe­gung und der Ent­wick­lung mate­ria­lis­ti­scher Gesellschaftstheorie.

 

Ein Revo­lu­tio­när

Um das Leben und die Auf­fas­sun­gen des Berufs­re­vo­lu­tio­närs Leo Trotz­kis bes­ser zu ver­ste­hen, hilft es, sie in den Kon­text der euro­päi­schen Revo­lu­tio­nen vom spä­ten 18. bis ins 20. Jahr­hun­dert ein­zu­ord­nen. Zu Trotz­kis Geburt ist bereits ein gan­zes Jahr­hun­dert seit den wich­tigs­ten Refe­renz­punk­ten des Aus­gangs aus dem früh­ka­pi­ta­lis­ti­schen euro­päi­schen Kolo­nia­lis­mus ver­gan­gen, die Revo­lu­tio­nen in Hai­ti und Frank­reich sind längst vor­bei und in die bona­par­tis­ti­sche Restau­ra­ti­on über­führt wor­den. Auch die Nie­der­la­ge der März­re­vo­lu­ti­on 1848 in Deutsch­land liegt bereits 30 Jah­re zurück. Und auch die kur­ze Pha­se der Pari­ser Kom­mu­ne von 1871 war schon längst hin­weg­ge­fegt, als Trotz­ki 1879 in eine zunächst arme Land­fa­mi­lie gebo­ren wur­de, die spä­ter trotz vie­ler Kri­sen eini­ge Land­ar­bei­ter beschäf­ti­gen konnte.

In sei­nem jun­gen Erwach­se­nen­le­ben ten­dier­te der städ­tisch, jüdisch und eher rus­sisch denn ukrai­nisch sozia­li­sier­te Trotz­ki zur poli­ti­schen Bewe­gung der Narod­ni­ki, deren roman­ti­sches Natio­nal­den­ken auf eine Ver­bin­dung des bäu­er­lich gepräg­ten Lebens mit moder­nen intel­lek­tu­el­len Inhal­ten ziel­te (21). Zum Mar­xis­mus kommt Trotz­ki durch sei­ne Bezie­hung zu Alex­an­dra Lwow­na Soko­low­ska­ja. Wel­che Schrif­ten von Marx genau zu die­ser Zeit an die­sem Ort zir­ku­lier­ten und wie sie rezi­piert wur­den, ist heu­te schwer zu beur­tei­len. Fest steht jeden­falls, dass der jun­ge Trotz­ki von die­ser Zeit an nicht mehr in den Bau­ern und Intel­lek­tu­el­len, son­dern in den weni­gen genui­nen Indus­trie­ar­bei­tern des noch kaum indus­tria­li­sier­ten Lan­des die ent­schei­den­de revo­lu­tio­nä­re Kraft erblickt – und mit Gleich­ge­sinn­ten den Süd­rus­si­schen Arbei­ter­bund grün­det. Bereits 1883 ent­stand andern­orts die Grup­pe zur Befrei­ung der Arbeit (u. a. mit Ple­ch­a­now, dem Mit­be­grün­der der II. Inter­na­tio­na­len, Axel­rod und Sas­su­litsch); 1895 der Kampf­bund zur Befrei­ung der Arbei­ter­klas­se (u. a. mit Lenin, auf­ge­löst von der Geheim­po­li­zei 1897).

Kei­ne Leich­tig­keit, nach­zu­voll­zie­hen, auf wel­che theo­re­ti­schen Schwer­punk­te die Agi­ta­ti­on die­ses Arbei­ter­bun­des setz­te. Trotz der his­to­ri­schen Dif­fe­ren­zen dürf­ten jedoch auch damals bereits eini­ge klas­si­sche Bezugs­pro­ble­me des Mar­xis­mus die wich­tigs­te Rol­le gespielt haben, die die Gesell­schafts­theo­rie bis heu­te beschäf­ti­gen: Die Suche nach einer neu­en, objek­ti­ven Beschrei­bung der Ent­wick­lun­gen gesell­schaft­li­cher Pro­duk­ti­on, der Grün­de für den unfrei­heit­li­chen und ärm­li­chen Cha­rak­ter des Lebens trotz der wach­sen­den Pro­duk­tiv­kräf­te, die Fra­ge nach der Ursa­che von Krie­gen, sowie die Suche nach einem revo­lu­tio­nä­ren Sub­jekt, dass die alte Herr­schaft abschaf­fen kann und durch eine neue ersetzt, die den Mög­lich­kei­ten der Moder­ne ange­mes­se­ner ist.

Die­se neue Art des Den­kens zieht jeden­falls schnell eini­ges Publi­kum an, Kell­ner nennt eine Zahl von ca. 10.000 Sym­pa­thi­san­ten und Zuläu­fern zu dem Arbei­ter­bund (22) – genug, um die zaris­ti­sche Poli­zei 1898 zu ver­an­las­sen, die Füh­rungs­grup­pe der Orga­ni­sa­ti­on als Staats­ver­bre­cher zu ver­fol­gen. Trotz­ki, noch nicht ein­mal 20 Jah­re alt, wird zum Verbannten.

 

Trotz­kis­mus und Bolschewismus

In Haft und Ver­ban­nung hört Trotz­ki von der Grün­dung der Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Arbei­ter­par­tei Russ­lands in Minsk und arbei­tet bald für deren von Lenin geführ­ten Zei­tung Iskra. 1903 konn­te die Par­tei ihren zwei­ten Kon­gress mit einer viel grö­ße­ren Teil­neh­mer­zahl abhal­ten – es soll­te ihr Grün­dungs­kon­gress wer­den, doch er ging statt­des­sen als Auf­takt zur bis dato fol­gen­reichs­ten par­tei­po­li­ti­schen Spal­tung der Welt in die Geschich­te ein. Auf­grund uner­war­tet tie­fer orga­ni­sa­to­ri­scher und poli­ti­scher Dif­fe­ren­zen kris­tal­li­sier­ten sich ein radi­ka­ler und ein gemä­ßig­ter Flü­gel her­aus – so uner­war­tet sogar, dass den Betei­lig­ten nichts anders übrig­blieb, als die bei­den Sei­ten nach den fina­len Abstim­mungs­er­geb­nis­sen zu benen­nen: als Mehr­heits- und Min­der­heits­frak­ti­on, Bol­sche­wi­ki und Men­sche­wi­ki.

Die Grup­pe um Lenin woll­te weder locke­re Mit­glied­schafts­be­din­gun­gen noch ein poli­ti­sches Pro­gramm mit nur mitt­le­rer Reich­wei­te zulas­sen, eine durch­or­ga­ni­sier­te Kampf­par­tei mit revo­lu­tio­nä­rer Per­spek­ti­ve war ihr Ziel. Lenins Gedan­ken ent­stan­den zwar in einer Aus­ein­an­der­set­zung mit Marx – gleich­zei­tig ist aber vor allem in sei­nem Haupt­werk die­ser Zeit, Was tun? (1902), gera­de ein poli­ti­sches, und nicht wie bei Marx ein polit­öko­no­mi­sches Pro­blem der Hauptbezugspunkt.

Die Arbeiter*innenklasse wer­de sys­te­ma­tisch von poli­ti­scher Bil­dung abge­hal­ten und lau­fe daher den ein­fa­chen Gewerk­schaf­ten zu, wes­we­gen Lenin eine poli­ti­sche Avant­gar­de­par­tei zur Füh­rung vor­schlägt. Die Fra­ge bestand dann nur noch dar­in, wie die­se Füh­rung bes­ser orga­ni­siert wer­den kann: Als geschlos­se­ne Par­tei oder als offe­ner Zusammenhang.

Außer Fra­ge stand für Lenin, dass ein­fa­che Gewerk­schaf­ten Erfolg haben kön­nen: „spon­ta­ne Arbei­ter­be­we­gung ist Tra­de-Unio­nis­mus, ist Nur-Gewerk­schaft­le­rei, Tra­de-Unio­nis­mus aber bedeu­tet eben ideo­lo­gi­sche Ver­skla­vung der Arbei­ter durch die Bour­geoi­sie.“[1] Es soll­te noch 15 Jah­re dau­ern, bis Lenin sich dar­an­ma­chen soll­te, die­se Ansicht auch in sei­nen öko­no­mi­schen Haupt­wer­ken Impe­ria­lis­mus als höchs­tes Sta­di­um des Kapi­ta­lis­mus und Staat und Revo­lu­ti­on neu zu begrün­den. Sicher­lich hat­te Lenin zu sei­ner Zeit eine Wahr­heit aus­ge­spro­chen. Heu­te dage­gen glau­ben nur noch sehr weni­ge an die Unre­for­mier­bar­keit des Kapi­ta­lis­mus – und eine Theo­rie, die das nur als Effekt einer Ideo­lo­gie sieht, macht es sich sehr einfach.

Trotz­ki war zu die­ser Zeit jeden­falls von Lenins Posi­ti­on nicht ganz über­zeugt und wen­det sich in sei­ner Schrift Unse­re poli­ti­schen Auf­ga­ben von 1904 gegen einen „jako­bi­ni­schen Zen­tra­lis­mus“ (24), wie er Lenins Posi­ti­on zusam­men­fasst. Zur rus­si­schen Revo­lu­ti­on von 1905 war der 26-jäh­ri­ge Trotz­ki daher noch kein Bol­sche­wik. Doch auch die Min­der­hei­ten­po­si­ti­on in der Par­tei, die dar­an glaub­te, zuerst müss­ten »nor­ma­le« kapi­ta­lis­ti­sche Ver­hält­nis­se geschaf­fen wer­den, bevor eine sozia­lis­ti­sche Revo­lu­ti­on erfol­gen kön­nen stieß ihn ab – und wur­de auch durch das Schei­tern der Revo­lu­ti­on 1905 gründ­lich wider­legt: Weder kam es zu einem Aus­gleich der sozia­len Extre­me noch zu einer Ver­fas­sung und funk­tio­nie­ren­den demo­kra­ti­schen Orga­nen. Aus heu­ti­ger Sicht para­do­xer­wei­se wur­de die­se gemä­ßig­te Poli­tik zu die­ser Zeit gera­de als mar­xis­ti­sche Ortho­do­xie beti­telt, gemäß einer his­to­ri­schen Les­art von Marx’ Wert­theo­rie, in der die ein­zel­nen Sta­di­en der Ver­ge­sell­schaf­tung über Waren- und Wer­t­e­tausch nur nach­ein­an­der ablau­fen kön­nen. So blieb Trotz­ki „bis zur offi­zi­el­len Spal­tung in zwei Par­tei­en im Jahr 1912 zwi­schen den Frak­tio­nen und stell­te sich an die Spit­ze der Ver­söhn­ler, die bei­de zusam­men­füh­ren woll­ten“ (25).

 

Kri­tik der Sozialdemokratie

In Ergeb­nis­se und Per­spek­ti­ven von 1906 kam Trotz­ki zu dem Schluss, dass die Arbeiter*innenklasse gera­de auf­grund der öko­no­mi­schen Rück­stän­dig­keit des Zaren­rei­ches eine stär­ke­re Füh­rung über­neh­men müs­se. Lenin und die Bol­sche­wi­ki dage­gen, die viel für die Losung der Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats gewor­ben hat­ten, spra­chen jetzt eher von einer „demo­kra­ti­schen Dik­ta­tur der Arbei­ter und Bau­ern“ (29). In der Aus­ein­an­der­set­zung mit den revo­lu­tio­nä­ren Strö­mun­gen ent­deck­ten bei­de einen ganz neu­en Pro­blem­be­reich für sich: Die sys­te­ma­ti­sche Kri­tik der Sozialdemokratie.

Es stell­te sich näm­lich her­aus, dass die Sozi­al­de­mo­kra­ten viel zu schnell und leicht, in Russ­land im Lau­fe nur weni­ger Jah­re, ihren pro­gres­si­ven Cha­rak­ter gegen einen reak­tio­nä­ren tausch­ten. Die Mög­lich­keit, im natio­na­len Rah­men Aner­ken­nung zu fin­den war ein Ange­bot, das vie­le Par­tei­en der Sozi­al­de­mo­kra­tie kaum ableh­nen konn­ten. Wie konn­te die­se Ent­wick­lung theo­re­tisch ein­ge­holt werden?

Die Sozi­al­de­mo­kra­tie hat­te sich zuneh­mend von der Idee des Inter­na­tio­na­lis­mus ver­ab­schie­det. Statt­des­sen gaben sie sich erkenn­bar damit zufrie­den, ihre Rol­le als Ver­tre­ter der Inter­es­sen einer natio­na­len Arbei­ter­klas­se ein­zu­neh­men – Inter­es­sen, die im Zei­chen der ste­tig stei­gen­den orga­ni­schen Zusam­men­set­zung des Kapi­tals sehr wohl auch im Inter­es­se der Kapi­ta­lis­ten selbst waren, schließ­lich benö­tigt kom­ple­xe­re Maschi­ne­rie kei­ne ver­arm­ten Lum­pen, son­dern gut­aus­ge­bil­de­te Vorarbeiter*innen und spä­ter vor allem auch Abneh­mer für ihren gestei­ger­ten Pro­dukt­aus­stoß. Die müh­sam auf­ge­bau­te Inter­na­tio­na­le der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei­en zer­fiel dann schließ­lich mit der Zustim­mung der jewei­li­gen Par­tei­en zum ers­ten Weltkrieg.

Die Fra­ge, wie sich eine gemä­ßig­te Posi­ti­on mit einer radi­ka­len Kri­tik der gewerk­schaft­li­chen Poli­tik im Ter­rain eines Staa­tes in den Hän­den von Grund­ei­gen­tü­mern und Bour­geoi­sie ver­ein­ba­ren lässt, ver­wan­del­te sich daher Stück für Stück in die Fra­ge, wie die Not­wen­dig­keit zur Abkehr von den Par­tei­en der Sozi­al­de­mo­kra­tie wirk­sam durch­ge­setzt wer­den könn­te. Die­ser hier voll­zo­ge­ne Bedeu­tungs­wan­del, der sich in einem Gegen­satz zwi­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten und Kom­mu­nis­ten aus­drückt, hat sich bis heu­te stil­bil­dend erhalten.

 

Von der kri­ti­schen zur prak­ti­schen Herausforderung

Die Bol­sche­wi­ki hat­ten ihre Lek­ti­on von 1905 über die Not­wen­dig­keit der Räte zur schnel­len Orga­ni­sie­rung gelernt und erober­ten mit einer Schritt-für-Schritt-Poli­tik, immer fokus­siert auf das Ziel eines Umstur­zes nicht nur des Zaren­tums, son­dern auch der zu libe­ra­len Zuge­ständ­nis­sen berei­ten »Pro­vi­so­ri­schen Regie­rung« die Her­zen und Mehr­hei­ten in den Sowjets: „Alle Macht den Räten“ (30) war ihre neue Losung wäh­rend der Auf­stän­de, die in Fol­ge der Not durch den Krieg los­ge­bro­chen waren, der zu allem Über­fluss auch noch ver­lo­ren war.

Mit der Ver­haf­tung der Regie­rung Keren­ski über­neh­men die Sowjets in der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on 1917 end­lich die Kon­trol­le im Land und Trotz­ki been­det als Volks­kom­mis­sar für äuße­re Ange­le­gen­hei­ten den Krieg gegen die düpier­ten deut­schen Trup­pen. 1918 wech­selt Trotz­ki in die Rol­le des Kom­mis­sars für Kriegs­we­sen und orga­ni­siert den Bür­ger­krieg im Inne­ren, der auf die Revo­lu­ti­on gefolgt war.

Die­se neue Situa­ti­on stell­te die poli­ti­sche Theo­rie wie­der­um vor völ­lig ande­re Her­aus­for­de­run­gen. An die Stel­le der Kri­tik der Sozi­al­de­mo­kra­tie war nun die Auf­ga­be der prak­ti­schen Gestal­tung eines rie­si­gen Flä­chen­lands getre­ten. Wel­che Theo­rie stand schon zur Ver­fü­gung, um Revo­lu­tio­nä­re dabei zu bera­ten, wie viel Ent­ge­gen­kom­men gegen­über zaris­tisch-loya­lis­ti­schen Offi­zie­ren und Trup­pen ange­mes­sen ist? Wie­viel Tole­ranz gegen­über eher anar­chis­tisch inspi­rier­ten Auf­stän­den wie in Kron­stadt nötig ist, wie­viel Unter­drü­ckung von Auf­stän­den gegen die Las­ten des Kriegs­kom­mu­nis­mus gerecht­fer­tigt sein könn­te? Wie­viel Zwangs­kol­lek­ti­vie­rung rich­tig, wie viel indi­vi­du­el­le Frei­heit denkbar?

Kell­ner stellt –ein wenig unfrei­wil­lig– vor allem her­aus, wie wenig sich die­se Epo­che in man­chen Hin­sich­ten für die Defi­ni­ti­on eines heu­te aktu­el­len Trotz­kis­mus eig­net. Es ist eine Zeit geprägt von Ambi­va­len­zen, Wen­dun­gen, Inkon­sis­ten­zen auf allen Sei­ten. Kei­ner der theo­re­ti­schen Stand­punk­te kommt der Ent­wick­lung hin­ter­her. Als ein­zi­ger kon­stan­ter Trend stellt sich spä­ter die Büro­kra­ti­sie­rung der Par­tei her­aus. Anstatt die offe­nen Fra­gen, Her­aus­for­de­run­gen und Wider­sprü­che zu orga­ni­sie­ren, ver­wan­delt sich die Par­tei in eine Orga­ni­sa­ti­on der Macht – die Büro­kra­tie ver­schmilzt mit dem Staat, statt ihn, der alten Losung nach, zum Abster­ben zu bringen.

Über­ra­schen­der­wei­se spart Kell­ner gera­de so wich­ti­ge Fra­gen wie die nach der Hal­tung der Par­tei zu Femi­nis­mus und Homo­se­xua­li­tät aus. Zwar stimmt es, dass mit der Auf­he­bung der zaris­ti­schen Straf­ge­setz­ge­bung auch die Ver­fol­gung von Homo­se­xu­el­len zurück­ging.[2] Ande­rer­seits war dies viel­leicht „nur“ ein Neben­ef­fekt – es ging den Bol­sche­wi­ki mög­li­cher­wei­se eher um die Abschaf­fung des zaris­ti­schen Rechts­co­dex als Gan­zes, und weni­ger expli­zit um eine Lega­li­sie­rung der Homo­se­xua­li­tät. Über­lie­fert sind näm­lich auch Zeug­nis­se über die Gering­schät­zung, die man­che Bol­sche­wi­ki sol­chen ver­meint­lich bür­ger­li­chen Pro­ble­men entgegenbrachten.

Aus Sicht des heu­ti­gen Trotz­kis­mus erscheint die kur­ze Dau­er jener pro­gres­si­ven Ten­den­zen natür­lich als ein Neben­pro­dukt aus der büro­kra­ti­schen Dege­ne­ra­ti­on der Par­tei. Aus ande­ren Per­spek­ti­ven frei­lich erscheint die­se kur­ze Peri­ode bis zur Rekri­mi­na­li­sie­rung der Homo­se­xua­li­tät eher als ein Schluck­auf der Geschich­te, zumal sich die­se Rekri­mi­na­li­sie­rung min­des­tens bis in die 80er Jah­re erhal­ten hat. Bis heu­te ist die For­schung hier noch nicht wirk­lich wei­ter­ge­kom­men – kei­ne Theo­rie hat es bis­her geschafft, die Fra­ge nach dem Zusam­men­hang von ver­schie­de­ner sozia­ler Fra­gen zufrie­den­stel­lend zu beantworten.

Die ein­mal los­ge­tre­te­ne Büro­kra­ti­sie­rung der Par­tei samt Ver­bot jeder Frak­ti­ons­bil­dung ließ sich jeden­falls kaum noch auf­hal­ten. Trotz­ki selbst wur­de von 1926 an zuneh­mend aus allen Ämtern aus­ge­schlos­sen und schließ­lich 1929 in die Ver­ban­nung geschickt. Es soll­te neun Jah­re dau­ern, bis die 1938 als Reak­ti­on auf den fest­ge­stell­ten Bank­rott sowohl der Sozi­al­de­mo­kra­tie der II. als auch des Kom­mu­nis­mus der III. Inter­na­tio­na­le in Paris eine neue, eben trotz­kis­ti­sche IV. Inter­na­tio­na­le aus­ge­ru­fen wird.

 

Exkurs: Die IV. Inter­na­tio­na­le und Gesellschaftstheorie

Die Grund­po­si­tio­nen einer trotz­kis­ti­schen Per­spek­ti­ve las­sen sich – bei allen gro­ßen Dif­fe­ren­zen, die es hier gege­ben hat – zumin­dest in den Grund­zü­gen als eine Rück­kehr nicht zu den letz­ten Wahr­hei­ten, son­dern zu der For­schungs­fra­ge des Mar­xis­mus ver­ste­hen: Wie ist die all­ge­mei­ne Eman­zi­pa­ti­on aller Men­schen gegen jede Unter­drü­ckung zu erreichen?

Marx und Engels fan­den in Deutsch­land eine ähn­lich dop­pelt ver­fah­re­ne Situa­ti­on vor, wie spä­ter die Revo­lu­tio­nä­re in Russ­land: Einer­seits erstickt ein immens repres­si­ves Sys­tem gewalt­sam alle Reform­be­mü­hun­gen. Somit wird jede ver­ein­zel­te Eman­zi­pa­ti­ons­be­mü­hung schein­bar zu einem Kampf ums Gan­ze. Ande­rer­seits bedeu­tet die­ser ver­meint­li­che Uni­ver­sa­lis­mus kei­ne ech­te Solidarität.

Die uni­ver­sa­lis­ti­sche Phi­lo­so­phie der Auf­klä­rung hat­te nicht alle Men­schen im Sinn, wenn sie an Frei­heit und Gleich­heit dach­te. Natür­lich waren z. B. weder Frau­en noch nicht-wei­ße noch nicht-Chris­ten gemeint, und eben­so natür­lich auch nicht die nicht-Mit­glie­der der bür­ger­li­chen Mit­tel- und Ober­klas­sen. Im Gegen­teil, die Men­schen­rech­te des bür­ger­li­chen Huma­nis­mus waren eine ideo­lo­gi­sche, anthro­po­lo­gi­sche Pro­jek­ti­on der Not­wen­dig­kei­ten der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on. Für Tausch und Han­del muss­ten die Inha­ber der Ver­fü­gungs­ge­walt über Pro­duk­ti­on und Kon­sump­ti­on in gewis­ser Wei­se gleich sein, und für die fle­xi­ble, unper­sön­li­che Gestal­tung von Arbeits­ver­hält­nis­sen durch Ver­trä­ge muss­ten auch deren Sub­jek­te in gewis­ser Wei­se frei sein, Ver­trä­ge zu schließen.

Kei­nes­wegs war die tat­säch­li­che Unfrei­heit und Ungleich­heit daher nur ein tra­gi­scher, kon­tin­gen­ter Feh­ler in den Ver­hält­nis­sen, der bei­zei­ten kor­ri­giert wer­den kann, son­dern ein essen­zi­el­ler Bau­stein des Kapi­ta­lis­mus: Mit fal­scher Frei­heit und fal­scher Gleich­heit akku­mu­liert sich eben schnel­ler Kapi­tal. Und wer nicht schnell genug akku­mu­liert muss mit­tel­fris­tig in der Kon­kur­renz unter­ge­hen. Inso­fern hat­ten die Pro­le­ta­ria­te und Sub­al­ter­nen gute Grün­de, die­sen ideo­lo­gi­schen Illu­sio­nen zu miss­trau­en und sie abzu­leh­nen, da sie ein ganz deut­li­ches Herr­schafts­in­stru­ment darstellten.

Gleich­zei­tig aber konn­ten die­se Sub­jek­te nicht ein­fach so einen wirk­li­chen Begriff von Frei­heit und Gleich­heit aus dem Hut zau­bern. Der Kampf gegen den Feu­da­lis­mus und Kapi­ta­lis­mus ergab nicht von selbst einen Kampf für eine ech­te Frei­heit und Gleich­heit, ein­fach weil die­se Begrif­fe eben kom­plex und kei­ne leicht ver­ständ­li­chen Aller­welts­be­grif­fe sind. Dass eben z. B. das sexis­ti­sche Beschimp­fen von Frau­en* über­haupt nichts mit Frei­heit des Aus­drucks zu tun hat, geht selbst heu­te noch nicht in die Köp­fe vie­ler Men­schen hin­ein. Und auch die Kämp­fe für Sozia­lis­mus und Inter­na­tio­na­lis­mus zogen nicht auto­ma­tisch ein Ende von eth­ni­schen oder reli­giö­sen Res­sen­ti­ments nach sich. Die Her­aus­for­de­rung der Zeit bestand also in der unmög­li­chen Qua­dra­tur des Krei­ses, sich einer­seits radi­kal von der mate­ri­el­len und ideo­lo­gi­schen Abhän­gig­keit der Bour­geoi­sie zu befrei­en, ande­rer­seits aber die Ver­spre­chun­gen der Moder­ne auf eine wirk­li­che Frei­heit und Gleich­heit in einer wah­ren Form nicht fal­len zu lassen.

Der Trotz­kis­mus kann ver­stan­den wer­den als der Ver­such, sich die­ser Her­aus­for­de­rung durch sei­ne drei Kern­funk­tio­nen – demo­kra­ti­sche Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats, Über­gangs­pro­gramm und per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on – anzu­neh­men. Die Chif­fre der Dik­ta­tur steht dabei für die Unab­hän­gig­keit von allen bür­ger­li­chen Klas­sen und deren ideo­lo­gi­schen Stand­punk­ten auf dem Weg zur Eman­zi­pa­ti­on. Das Über­gangs­pro­gramm steht für den nöti­gen, kon­trol­lier­ten Prag­ma­tis­mus. Die Per­ma­nenz für die Wei­ge­rung, unvoll­kom­me­ne Etap­pen­zie­le als Erfolg zu bezeichnen.

Der Trotz­kis­mus hät­te somit als eine prak­ti­sche Theo­rie der Auf­klä­rung auf­tre­ten kön­nen. Hät­te, denn nicht nur bei Trotz­ki und Lenin, son­dern natür­lich auch bei Marx und Engels ist eine sol­che poli­ti­sche Theo­rie der Gesell­schaft natür­lich noch nicht in die­ser Brei­te und Bedeu­tung ent­wi­ckelt, son­dern ver­bleibt deut­lich im ers­ten Teil die­ser Ent­wick­lung, näm­lich der Ablö­sung von der kapi­ta­lis­ti­schen Moder­ne ver­haf­tet. Auch Trotz­kis Rin­gen mit den kul­tu­rel­len Aspek­ten der Revo­lu­ti­on, die weit über eine rei­ne Errin­gung der Macht der Arbeiter*innenklasse hin­aus­rei­chen, ließ sich nicht mehr zu etwas Umfas­sen­de­ren verallgemeinern.

 

Trotz­kis­mus im Fluss der Zeit

Letzt­end­lich ist aber auch die trotz­kis­ti­sche Hal­tung nicht nur an einer Theo­rie­ar­mut, son­dern auch an einem Zeit­al­ter der Extre­me geschei­tert, in dem es kaum Luft zum Atmen gab für Eman­zi­pa­to­ri­sches, son­dern vor allem Exzess und Zer­stö­rung das Bild beherrsch­ten. Die­se Über­for­de­rung ließ die den Trotz­kis­mus nicht unbe­scha­det zurück – er beginnt, sich theo­re­tisch und prak­tisch zu zer­set­zen. Die poli­ti­sche Meta­phy­sik des Trotz­kis­mus war ganz und gar vom Exzess der Revo­lu­tio­nen und Welt­krie­ge vor­ge­zeich­net. „Was aber, wenn die­ses »ver­fau­len­de« kapi­ta­lis­ti­sche Sys­tem mehr oder weni­ger heil aus die­sem Welt­krieg her­aus und gar zu einer lang andau­ern­den expan­si­ven Peri­ode kommt?“, fragt Kell­ner zurecht und kommt zum Schluss: „Das über­stieg den Hori­zont der Grün­der der IV. Inter­na­tio­na­le“ (87).

Auf die Zuschau­er­rän­ge ver­bannt beob­ach­te­ten die Trotzkist*innen die Revo­lu­tio­nen in Jugo­sla­wi­en unter Tito, Chi­na unter Mao, Kuba unter Cas­tro und Gue­va­ra. Doch ihr Zugang zu die­sen Phä­no­me­nen schaff­te lan­ge nicht den Sprung auf eine all­ge­mei­ne­re Theo­rie­ebe­ne, son­dern blieb in ein­zel­nen Aspek­ten ver­haf­tet. Die Gescheh­nis­se wur­den z. B. danach beur­teilt, wie sehr es die jewei­li­gen Füh­run­gen schaff­ten, sich von Sta­lin zu distan­zie­ren, oder wie ‚bür­ger­lich‘ sie waren.

Kell­ner fasst zusam­men: „Von 1953 bis 1963 erleb­te die trotz­kis­ti­sche Bewe­gung … eine schar­fe Kri­se“ (90). Die seit Beginn der fünf­zi­ger Jah­re ver­stärk­te Stra­te­gie des Ent­ris­mus, also des Ein­tritts in sozi­al­de­mo­kra­ti­sche bzw. kom­mu­nis­ti­sche Par­tei­en zur klan­des­ti­nen Beein­flus­sung deren Mit­glie­der im Sin­ne trotz­kis­ti­scher Posi­tio­nen ist daher weni­ger als Ursa­che, son­dern eher als Ergeb­nis einer theo­re­ti­schen Kri­se zu betrachten.

Viel­leicht ist dies auch eine bes­se­re Erklä­rung dafür, dass vie­le Trotzkist*innen den Zeit­punkt für den Absprung aus dem Ent­ris­mus ver­pass­ten, als Mit­te der sech­zi­ger Jah­re die Poli­tik Euro­pas erneut aus dem Tritt kam und z. B. Mit­glie­der des SDS für Ihre Kri­tik an der SPD aus der Par­tei gewor­fen wur­den. „Es ist kein Zufall“, schreibt Kell­ner, „dass die deut­schen Trotz­kis­ten ver­gleichs­wei­se spät mit einer unab­hän­gi­gen Orga­ni­sa­ti­on, der Grup­pe Inter­na­tio­na­le Mar­xis­ten (GIM) in die durch die Jugend­ra­di­ka­li­sie­rung aus­ge­lös­ten Pro­zes­se ein­grif­fen. Sie konn­ten dadurch Mit­glie­der gewin­nen, blie­ben aber doch eher am Rand, und in der ers­ten Hälf­te der 70er Jah­re waren links von SPD und DKP die mao­is­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen um ein Viel­fa­ches stär­ker“ (103).

Die Genera­ti­on der 68er ist als kul­tu­rel­le Revo­lu­ti­on in die Geschich­te ein­ge­gan­gen – doch nicht im trotz­kis­ti­schen Sin­ne des Begriffs. Ein maß­geb­li­cher Ein­fluss war viel­mehr gera­de die bür­ger­li­che Intel­li­genz. In einer ganz erheb­li­chen und eben­falls bis heu­te stil­bil­den­den Wen­dung lin­ker Theo­rie­bil­dung wur­de, quer über vie­le Schu­len hin­weg, die Idee von der Unab­hän­gig­keit der Lin­ken von bür­ger­li­chem Staat und Ideo­lo­gie fal­len gelassen.

In Deutsch­land brach­te der Auf­stieg der Kri­ti­schen Theo­rie die demo­kra­ti­sche Kri­tik an der bür­ger­li­chen Gesell­schaft nach vor­ne. Der bür­ger­li­chen Gesell­schaft soll­te der Spie­gel vor­ge­hal­ten, sie soll­te an ihren eige­nen Maß­stä­ben gemes­sen wer­den. In Frank­reich stieg mit dem Exis­ten­zia­lis­mus Sar­tres eine neue, lin­ke Ver­si­on der bür­ger­li­chen Frei­heits­ideo­lo­gie auf, wäh­rend gleich­zei­tig mit einer lin­gu­is­tisch und auf Hei­deg­ger ori­en­tier­ten Phi­lo­so­phie ein ganz neu­er Anfang für Sozi­al­theo­rie gelegt wurde.

Der Trotz­kis­mus heu­te hat die­se Theo­rie­um­stel­lun­gen noch nicht wirk­lich ver­kraf­tet. Zwar gibt es eini­ge Grup­pen, die expli­zit den Anschluss an aka­de­mi­sche Krei­se suchen, in denen Fra­gen die­ser Reich­wei­te viel prä­sen­ter sind. Es ist aber deut­lich, dass die­se Grup­pen oft viel eher mit der wis­sen­schaft­li­chen Unter­füt­te­rung bereits bestehen­der Par­tei­po­li­tik zu tun haben, als wirk­lich radi­ka­le Theo­rie­an­ge­bo­te zu ent­wi­ckeln. Der auf die­se Wei­se ent­ste­hen­de Eklek­ti­zis­mus, in dem Ver­satz­stü­cke des Mar­xis­mus mit neu­er Phi­lo­so­phie zusam­men­ge­steckt wer­den, ist nir­gend­wo wirk­lich unter Kon­trol­le gebracht wor­den, und steht einer eman­zi­pa­to­ri­schen Pra­xis heu­te fer­ner denn je.

 

Bespre­chung von Manu­el Kell­ner 2013 [2004], Trotz­kis­mus. Ein­füh­rung in sei­ne Grund­la­gen – Fra­gen nach sei­ner Zukunft, Stutt­gart: Schmet­ter­ling, 175 S., 10 €

 

[1] Lenin, W. I. (1963): Aus­ge­wähl­te Wer­ke, Band I, Ber­lin: Dietz, 175

[2] Trotz­ki selbst wid­met sich der Fra­ge nach den mög­li­chen Wegen zur pro­gres­si­ven Trans­for­ma­ti­on der gesam­ten Kul­tur etwa in: ders. (2001): Fra­gen des All­tags­le­bens, Trotz­ki-Biblio­thek Band XVI, Essen: Arbeiterpresse/Mehring

Ein Kommentar

  1. Ich fin­de den Bei­trag her­vor­ra­gend geschrie­ben, eine leicht­fü­ßi­ge kri­ti­sche Bespre­chung, die den bes­ten Ansatz­punkt nimmt: eine gesell­schafts­po­li­ti­sche Rele­vanz, vor deren Hin­ter­grund eine Bespre­chung ja über­haupt erst Sinn macht. Ohne im Detail in der Mate­rie zu ste­hen, muss ich einer­seits vie­le Infor­ma­tio­nen erst ein­mal dan­kend hin­neh­men und mich ande­rer­seits zu eige­nen Fra­gen inspi­rie­ren las­sen. Es betrifft ein wenig die „sym­pto­ma­ti­sche“ Ein­ord­nung des Trotz­kis­mus. In der Bespre­chung nun wirkt es so, als sei die Bewe­gung kon­se­quen­ter­wei­se Aus­druck und Bear­bei­tung einer his­to­ri­schen Patt­si­tua­ti­on und kommt ent­spre­chend gut weg, als die­je­ni­ge, die sich ernst­haft mit den Pro­ble­ma­ti­ken eines Theo­rie-Pra­xis-Dilem­mas aus­ein­an­der­setzt. Dahin­ge­stellt, ob dem so sein kann, aber lie­ße sich, wie du es am Ende sel­ber andeu­test, jenes nicht eigent­lich über jede Strö­mung sagen? Kri­ti­sche Theo­rie ist die Ant­wort auf die Sack­gas­se. Althus­ser sowie­so. Die Post-Mar­xis­ten ver­län­gern jene Dia­gno­se für sich… Und alle kom­men an ihre jewei­li­ge Pra­xis­gren­ze, über die sich dann sagen lässt, sie „hätte[n] somit als eine prak­ti­sche Theo­rie der Auf­klä­rung auf­tre­ten kön­nen.“ Aber „eine sol­che poli­ti­sche Theo­rie der Gesell­schaft [war] natür­lich noch nicht in die­ser Brei­te und Bedeu­tung ent­wi­ckelt, son­dern ver­bleibt deut­lich im ers­ten Teil die­ser Ent­wick­lung, näm­lich der Ablö­sung von der kapi­ta­lis­ti­schen Moder­ne verhaftet.“
    Das Schei­tern des Trotz­kis­mus wirkt dann ein wenig exem­pla­risch als die Kom­bi­na­ti­on aus Theo­rie­ar­mut und Über­for­de­rung ange­sichts der über­wäl­ti­gen­den Rea­li­tät. Aus mate­ria­lis­ti­scher Per­spek­ti­ve berührt das den Knack­punkt: Die Theo­rie, die die Welt erklä­ren soll, wel­che zuerst der Aus­gangs­punkt der Theo­rie selbst sein muss. Das Pro­blem dabei ist doch also, dass der sug­ge­rier­te ers­te Schritt einer „Ablö­sung von der kapi­ta­lis­ti­schen Moder­ne“ nur ein theo­re­ti­scher sein kann, zumin­dest wenn man nicht schon das revo­lu­tio­nä­re Sub­jekt an der Hand hat, das ent­spre­chen­de Tat­sa­chen schafft. Aber: Wenn „die Men­schen­rech­te des bür­ger­li­chen Huma­nis­mus […] eine ideo­lo­gi­sche, anthro­po­lo­gi­sche Pro­jek­ti­on der Not­wen­dig­kei­ten der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on [waren]“, die das Begrün­dungs­fun­da­ment der poli­ti­schen Pra­xis bil­den, lässt sich dem ja nicht ein­fach eine wirk­lich uni­ver­sel­le Idee von Frei­heit oder Gleich­heit in Stel­lung brin­gen. Bzw. wo soll die­se her­kom­men? Soweit ich das sehe, haben sich etwa auch Marx und Engels dage­gen gewährt, die Erfül­lungs­ge­hil­fen der Auf­klä­rung spie­len zu wol­len. Ich den­ke, dass eine sol­che Pro­ble­ma­tik im Kern das Unbe­ha­gen berührt, dass sich in den kri­ti­schen Abgren­zungs­be­we­gun­gen a la Post­struk­tu­ra­lis­mus gegen den Uni­ver­sa­lis­mus als Gan­zen arti­ku­liert. Nun­ja, in der fal­schen Auf­he­bung des Pro­blems selbst­ver­ständ­lich. Es bringt mich aber dann zumin­dest zu der Fra­ge zurück, war­um der Trotz­kis­mus dann etwas anzu­bie­ten hat, außer ein wei­te­rer Aus­druck der Sym­pto­ma­tik zu sein, den man beob­ach­ten und bewer­ten kann. Ver­zeih, wenn das hier in asso­zia­ti­ves Raten aus­ufer­te. Die Bespre­chung hat mich offen­sicht­lich ange­regt. Dan­ke dafür.

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